I. Buch. « Auswakugevpntik 47
um eine gleiche oder ähnliche Veränderung der deutschen Machtstellung in der Welt
zu finden.
Erfolge deutscher Weltpolitik. Die deutsche Politit hat es verstanden, schon
bevor sie sich eine starke Flotte geschaffen
hatte, uns für unsere Weltinteressen zukunftsreiche Stũtzpunkte zu sichern. Unseren
alten Kolonialbesitz haben wir entwickelt und gefördert. Der ernste Aufstand der Hereros
in Südwestafrika wurde, wenn auch unter großen Kosten und schmerzlichen Opfern,
dank der Zähigkeit und Bravour unserer Truppen in langen und mühsamen Kämpfen
überwunden. Die Namen der Tapferen, die im afrikanischen Wüstensand kämpften
und starben — ich nenne nur den Grafen Wolff-Werner von Arnim und den Freiherrn
Burkhard von Erffa, die beide freiwillig hinüberzogen und drüben beide heldenmütig
in den Tod gingen — verdienen es, in unserer Geschichte fortzuleben, denn sie haben
bewiesen, daß unser Volk in langer Friedenszeit seine kriegerischen Tugenden nicht
eingebüßt hat. Der südwestafrikanische Aufstand bezeichnete eine Krisis in unserer
Kolonialpolitik, aber auch die Wendung zum Besseren. Durch die Reorganisation der
Kolonialverwaltung, die Umwandlung der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts
in ein selbständiges Reichsamt, vor allem durch die Erweckung eines lebendigen Ver-
ständnisses für unsere Aufgaben und Ziele auf kolonialem Gebiete gelang es während
der Amtszeit des Staatssekretärs Dernburg, unsere Kolonialpolitik endlich über den
toten Punkt wegzubringen. Es ging hier wie in der Flottenfrage. Unter großen
Mühen und in langen Kämpfen ist es uns schließlich doch geglückt, alle bürgerlichen
Parteien von der Rützlichkeit und Notwendigkeit einer positiven Kolonialpolitik zu über-
zeugen und sie für eine solche zu gewinnen. Gleichzeitig mit dem Beginn unseres
Flottenbaues erfolgte im Herbste 1897 unsere Festsetzung in Kiautschou und einige
Monate später der Schantung-Vertrag mit China, eine der bedeutsamsten Aktionen der
neueren deutschen Geschichte, die uns unseren Platz an der Sonne in Ostasien ge-
sichert hat, an den Gestaden des Stillen Ozeans, denen eine große Zukunft vorbe-
halten ist. Bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts hatte sich Europa nur an der
Peripherie des chinesischen Reichs betätigen können. Znzwischen hat sich auch dessen
Inneres mehr und mehr erschlossen. Bei der Industrialisierung eines Riesenreichs von
400 Millionen Einwohnern, und fleißigen Einwohnern, ist viel zu gewinnen. Auf diesem
unermeßlichen Feld dürfen wir nicht in das Hintertreffen geraten, sondern wir müssen
unsere dortige Position behaupten und ausbauen. Der Ausgang des spanisch-ameri-
kanischen Krieges bot uns 1899 die Möglichkeit, durch den Erwerb der Karolinen- und
Mariannen-Gruppe einen Stützpunkt in Polpnesien zu erwerben. Ein Jahr später gelang
es, den langjährigen Streit um Samoa durch ein Abkommen mit England und Amerika
in einer für uns vorteilhaften Weise zu beendigen. Im Jahre 1898 schlossen wir einen
Vertrag mit England, der bedeutsam war, nicht nur weil durch ihn unsere Beziehungen zu
England in einem eher schwierigen Stadium ohne Gefährdung unseres Verhältnisses zu
anderen Mächten erleichtert wurden, sondern auch weil er uns für die Zukunft wert-
volle Aussichten sicherte. Um das Zustandekommen dieses Vertrags, der um so
47