I. Buch. Auswärtige Politik. 4
durch den Bau unserer Flotte den vollen Ubergang zur Weltpolitik vollzogen. Unser
Aufstieg zur Weltpolitik ist geglückt. Wir haben uns von keiner Macht gegen die andere
vorschieben lassen und für niemanden die Kastanien aus dem Feuer geholt. Durch
unsere ruhige Haltung während des Burenkrieges haben wir der Erregung, die seit dem
Krüger-Telegramm in England herrschte, die erste Schärfe genommen und England
auch im weiteren Verlauf der Dinge keinen Anlaß gegeben, uns während des Baues
unserer Flotte in den Arm zu fallen. Auf der anderen Seite ist es bei sorgsamer Pflege
des Dreibundes nicht zu Zusammenstößen mit dem Zweibund gekommen, die die Fort-
führung unseres Flottenbaues aufgehalten hätten. Zwischen französisch-englischer Entente
und Zweibund haben wir einen schmalen Weg gehen müssen, der schmäler wurde, als die
französisch-englische Entente sich zur Triple-Entente weitete, und nur mit angestrengtester
Vorsicht gangbar blieb, als England uns mit einem Netz von Bündnissen und Ententen um-
gab. Als endlich während der bosnischen Krise der internationale Horizont sich lichtete,
als die deutsche Kontinentalmacht das Einkreisungsnetz zerriß, da waren wir mit unserem
Flottenbau über das Stadium der Vorbereitung bereits hinaus.
Der Flottengedanke in Deutschland. Aeben den Schwierigkeiten der aus-
wärtigen Politik gingen, wenn auch
leichter überwindlich, Schwierigkeiten der inneren Politik. Es ist uns Deutschen nicht
gegeben, spontan und freudig den Forderungen einer neuen Zeit entgegenzukommen.
Goethe traf den Kern unserer Stärke, aber auch unserer Fehler, wenn er sagte, es sei
der Charakter der Deutschen, daß sie über allem schwer würden. ODer sprichwörtliche
Kampf zwischen der alten und der neuen Zeit ist in unserer Geschichte weniger als bei
anderen Völkern unterbrochen worden, und jede irgend bedeutsame Phase unserer
nationalen Entwicklung zeigt ihn immer wieder in ungebrochener Stärke. Wenn sich
aber bei uns Neuerungen an stärkeren Widerständen zu reiben haben als anderswo,
so ist unsere Entwicklung doch letzten Endes nie zu dauerndem Schaden aufgehalten
worden. Wir können sogar sagen, daß die ständige Begleitung einer widerstrebenden
Kritik uns Deutsche besser als manches andere Volk vor gefährlichen Neuerungen ge-
schützt und uns den ruhigen Aufstieg, den sicheren Fortschritt gebracht hat, dessen wir
beute froh sein dürfen. Das meinte Biemarck, wenn er einmal äußerte, die Regieren-
den in Deutschland bedürften des Stacheldrahtes der Kritik, der sie dadurch auf dem
rechten Wege erhielte, daß sie Gefahr liefen, sich die Hände blutig zu reißen, wenn sie
zu ezzentrische Bewegungen unternähmen. Damit hat Bismarck natürlich nicht sagen
wollen, daß die Kritik immer oder auch nur überwiegend im Rechte sei. Aber die Stärke
der verneinenden Kräfte zwingt Ernst, Macht der Uberzeugung und Kraft der Über-
redung einzusetzen und sich wirklich klar zu werden über die Notwendigkeit, neue Wege
zu beschreiten. Wo es immer in Deutschland gelungen ist, die Volksmehrheit mit Ein-
schluß anfänglich widerstrebender Kreise von der Notwendigkeit einer Sache zu über-
zeugen, da konnten wir erfahren, daß die neue, langsam gewonnene Überzeugung auch
unlösbare Wurzel schlug.
Der Flottengedanke ist heute deutsches Allgemeingut geworden. Von den aus-
4 49