Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
66 gnnere Politik. I. Buch. 
  
allen berechtigten Parteiforderungen suchen. Im Laufe längerer Amtsführung und im 
Verlauf wechselnder Aufgaben wird er dann natürlich nach und nach von allen Par- 
teien befehdet werden. Das schadet aber nichts, wenn nur der Staat prosperiert. Den 
Vorwurf politischer Prinzipienlosigkeit habe ich niemals tragisch genommen, ich habe 
ihn gelegentlich sogar als Lob empfunden, denn ich erblickte darin die Anerkennung, 
daß die Staatsraison mein Kompaß war. DOie politischen Prinzipien, denen ein Minister 
nachzuleben hat, sind eben ihrem Wesen nach ganz andere als die Grundsätze, die für einen 
Parteimann gelten, sie sind staatspolitisch, nicht parteipolitisch. Der Minister hat dem 
allgemeinen Interesse des Staates, des Volkes, die seiner Leitung anvertraut sind, Treue 
zu halten, ohne Rücksicht auf die Programme der Parteien, und wenn nötig im Kampf 
mit allen Parteien, auch mit derjenigen, der er selbst vielleicht mit der größeren Summe 
seiner politischen Anschauungen nahesteht. Prinzipienfestigkeit und Parteilosigkeit ver- 
tragen sich für einen Minister nicht nur, sie bedingen sich. Bismarck hatte eiserne Grund- 
sätze und in ihrer Befolgung hat er unser Vaterland zur Einheit, zu Ruhm und Größe 
geführt. Er ist als Abgeordneter Parteimann gewesen, und hat dann als Minister von 
seiner alten Partei den Vorwurf des politischen Frontwechsels hören müssen. Er wurde 
ein Zahrzehnt später erneuter Meinungsänderung bezichtigt. Tatsächlich ist er niemals 
vom Wege zu seinem Ziel gewichen, denn sein Ziel war kein anderes, als dem deutschen 
Reich und Volk jeden möglichen Vorteil zu sichern und Segen zu gewinnen. Oies Ziel 
war auf dem Wege einer Partei nicht zu erreichen, denn das Interesse der Allgemeinheit 
deckt sich selten oder nie mit dem Interesse einer einzelnen Partei. « 
AllgemeingültigeMaximenfüreinebestmöglichePolititlassenfichnichtwohlaufs 
stellen. Die politischen Ziele und die politischen Mittel wechseln mit den Verhältnissen, 
und man darf sich stlavisch an kein Vorbild, auch nicht an das größte, hängen. Soweit 
sich das mannigfache und bunte Leben auf eine kurze Formel bringen läßt, wäre sie für 
die Politik dahin zu fassen: Fanatisch, wo es um das Wohl und Interesse des Landes, 
um die Staatsräson geht, idealistisch in den Zielen, realistisch in der politischen Praxis, 
skeptisch, soweit die Menschen, ihre Zuverlässigkeit und Dankbarkeit in Betracht kommen. 
 
	        
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