X. Buch. Astronomie, Astrophysil, Geodãasie. 123
Himmelepoles am Sternhimmel, durch welche sich natürlich scheinbare Ortsverände-
rungen aller Sterne, bezogen auf diesen sogenannten Fixpunkt, ergeben, haben wir
indessen keine hinreichend genaue Kenntnis der für jene Bewegung der Erdachse maß-
gebenden Massenverteilung im ganzen Erdkörper und sind daher darauf angewiesen,
aus der Gesamtheit der Ortsveränderungen der Sterne gegen die sogenannten Fixpunkte
zugleich die genaueste Kenntnis der Ortsveränderungen auch dieser letzteren zu entneh-
men. Natürlich kann dies desto sicherer geschehen, je deutlicher und vollständiger wir aus
der Gesamtheit der Ortsveränderungen der Sterne an der Himmelsfläche
die Wirkungen der Bewegungen der Fixpunkte von denjenigen Ortsveränderungen zu
sondern vermögen, welche durch unsere eigenen Ortsveränderungen im Raume und
durch die wirklichen Bewegungen der Sterne selber hervorgerufen werden.
Von unsern eigenen Ortsveränderungen kommen dabei, abgesehen von den
veränderlichen Strahlenbrechungswirkungen der Atmosphäre, zunächst die jährlichen
Bewegungen in Frage, in Gestalt der sogenannten jährlichen Parallaxen, deren geson-
derte Ermittlungen aber durch die Kenntnis dieser jährlichen Periode und der Gestalt
der Erdbahn in Betracht der sehr geringen Winkelbeträge, unter denen diese Bewegungen
infolge der großen Entfernungen der Sterne erscheinen, soweit gesichert sind, daß wir
ihre oberen Grenzen mit einiger Wahrscheinlichkeit angeben können, und die wirklichen
Werte für einige Zehner von Sternen zweifellos kennen. Diese jährlichen Parallaxen
ergeben uns ja die Entfernungen dieser Sterne im Verhältnis zu den Dimensionen der
jährlichen Erdbahn. Der gegenwärtige Abstand keines der uns bisher bekannten Fix-
sterne beträgt weniger als das Hunderttausendfache des Durchmessers dieser unserer
Bahn. Aun hatte es sich aber aus den Ortsveränderungen mehrerer Tausend Sterne,
von denen seit der Mitte des Jahrhunderts 17 gesicherte Messungen vorlagen, bereits
ergeben, daß zweifellos auch unsere Sonne und mit ihr unser ganzes Planeten-
sostem ähnliche fortschreitende Ortsveränderungen im Weltraum erfährt, wie
die Sterne, die wir überwiegend als ferne Sonnen betrachten dürfen. Ourch diese unsere
eigenen fortschreitenden Ortsveränderungen im Weltraume muß nämlich die Erscheinung
erzeugt werden, daß in derjenigen Gegend der Himmelefläche, welcher wir uns nähern,
die Sternenwelt sich durch das Auseinandertreten der Sterne zu öffnen scheint, während
an der entgegengesetzten Stelle der Himmelsfläche die Sterne zusammenzurücken schei-
nen. Ee ist aber klar, daß diese Wirkungen unserer Bewegung, nämlich die sogenannten
säkularen Parallazxen, zwar nicht in ihrer Richtung, aber in ihrer Größe durch die Ver-
schiedenheiten der Lage der Sterne zu unserer säkularen Bahn beeinflußt werden. Zu-
gleich aber werden die wirklichen Ortsveränderungen in der Sternenwelt, und zwar nicht
sowohl die, immerhin begrenzten, periodischen, als vielmehr die fortschreitenden, das
ganze Erscheinungsgebiet der durch unsere fortschreitende Bewegung verursachten
säkularen Parallaxen in erheblichstem Grade komplizieren können, zumal dann, wenn
in der Sternenwelt größere Gruppen von gesetzmäßig untereinander verwandten Orts-
veränderungen im Gange sind, deren Fernwirkungen für uns das einfache Gesetz der
säkularen Wirkungen unserer eigenen fortschreitenden Bewegung verhüllen oder über-
wallen können.
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