76 Oas Kunstgewerbe. XI. Buch.
durchdringen und sie als ein einheitliches Kunstwerk erscheinen lassen. Der auzgestellte
Gegenstand mußte in der ihm angepaßten und geschmackvollen Umgebung besonders gut
zur Geltung kommen, und es war unmöglich, daß die Objekte, wie dies früher oft geschehen
war, sich in ihrer reklamehaften Aufmachung gegenseitig in ihrer Wirkung beeinträchtig-
ten. Die Erfahrungen, die die Münchener Ausstellung vom Jahre 1908 gebracht hatte,
wurden hier verwertet und, indem sie zum ersten Male und in großem Maßstab vor dem
Ausland angewendet wurden, sicherten sie dem deutschen Kunstgewerbe einen durch-
schlagenden Erfolg. Das Ausland konnte nicht umhin, die hier dargetane Uberlegen-
heit anzuerkennen, um so mehr, als die ausgestellten eigenen Leistungen erkennen
ließen, daß auch dort die gleichen Bestrebungen zwar vorhanden, aber in den Anfängen
steckengeblieben waren. Für das deutsche Kunstgewerbe hatte dieser Erfolg den Be-
weis dafür erbracht, daß die Richtung, die es seit der Dresdener Ausstellung ein-
geschlagen hatte, die richtige war.
Ausblick. Es mag dahingestellt bleiben, ob es jemals gelingen wird, für die moder-
— nen Kulturvölker dieselben Zustände wieder herbeizuführen, wie sie noch
weit bis in das 19. Jahrhundert hinein bestanden haben und in den Ländern Ostasiens zum
Teil heute noch bestehen. Der beispiellose technische und wirtschaftliche Aufschwung hat eben
die Verhältnisse von Grund auf verändert. Wir stehen im Augenblick den Ereignissen
noch zu nahe, um ihnen eine in allen Punkten gerechte Kritik angedeihen zu lassen.
Besonders sind wir leicht geneigt, das Modische und viel Genannte zu überschätzen
auf Kosten aller der ehrlichen Arbeit, die sich nicht in den Vordergrund stellt und
unter Umständen für ihre Zeit die bedeutsameren Werte schafft. Immerhin sind wir
unleugbar ein gutes Stück vorwärts gekommen und wenn, wie überall, auch
bier der Anfang das Schwerste ist, so steht zu hoffen, daß die nächsten Jahre eine immer
schnellere Weiterentwicklung bringen werden. Es ist ja durchaus nicht erforderlich, daß
das erträumte Ziel des neuen Stils in Bälde erreicht werde. Es wird genügen, wenn
alle Produzenten in den Stand gesetzt werden, ihre Erzeugnisse so einfach, aber zugleich
geschmackvoll und gediegen herzustellen, daß sie in jedem Falle eine einwandfreie Lösung
der gestellten Aufgabe darstellen und wenn in den Konsumenten das Verständnis und
Bedürfnis für solche Leistungen geweckt wird. Eine hierdurch bewiesene anständige
Gesinnung wird derjenigen, die aus den guten Stücken der Vergangenheit zu uns
spricht, völlig eben bürtig sein, und ohne daß wir es wollen oder selbst beurteilen können,
werden solche Erzeugnisse aus unseren Tagen der Nachwelt als einheitliche und charackte-
ristische Zeitdokumente erscheinen.
1608