Full text: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft. Neunter Band. Jahrgang 1853. (9)

10 Betrachtungen 
werden könne und müsse, den Einklang zwischen den besonderen 
Interessen jedes Mitgliedes der Gesellschaft und ihrem gemein- 
Zahlreiche Berichte der den Verhältnissen am nächsten stehenden Per- 
sonen ergeben, dass die Zustände der bezeichneten Einwohnerklassen in den 
übrigen Provinzen des preussischen Staates schwerlich günstiger sind, 
und gerade in den am wenigsten bevölkerten Gegenden am meisten bedroht 
erscheinen. Siehe v. Lengerke die ländliche Arbeiterfrage, Berlin 1849 
bei Schröder, wo es in der Zusammenfassung der Ergebnisse von 168 Be- 
richten landwirthschaftlicher Vereine S. 17 heisst: 
„Allgemeiner und entschiedner tritt die Misslichkeit der Lage des 
„ländlichen Arbeiters jedenfalls bei dem Einlieger und Heuerling hervor; 
„_— seine Existenz ist weit überwiegend eine dürftige und 
„haltungslose.“ Vergleiche auch H. Graf zu Dohna: die freien Arbeiter 
im preussischen Staate, Leipzig bei Wigand 1847. 
Ein ferneres Zeugniss für die Wahrheit dieser Schilderungen hat der 
kürzlich in der 2ten Kammer gestellte Antrag des Abgeordneten Wagener, 
(eines Domänenpächters aus dem Regierungsbezirk Frankfurt) auf Errichtung 
allgemeiner Hilfskassen abgelegt (Sitzung 135!/5;2 N. 114). In der diesen 
Antrag modificirenden Denkschrift (Berlin bei Möser 1851) äussert sich der 
Verfasser kurz dahin, dass jeder der mit den sogenannten freien Arbeitern 
auf dem Lande verkehre, das unter ihnen herrschende Elend anerkennen 
müsse, falls er nicht absichtlich Augeund Ohr dagegen verschliessen 
wolle. _ | 
Welche grauenvolle Zustände sich aus diesen Verhältnissen bei hinzu- 
tretender Ungunst des Klimas und wiederholter Missernten plötzlich entwickeln 
können, haben wir in den Jahren 1847 u. 1848 in Oberschlesien erlebt. 
Der Bericht der Kommission der 2ten Kammer zur Prüfung des Gesetz- 
entwurfs betreffend die Unterhaltung u. s. w. der Typhus-Waisen in Oberschlesien 
(1851 N. 297) schildert die Zustände der ländlichen Bevölkerung in jenen 
Gegenden folgendermassen : 
„Bis jetzt ist ein grosser Theil der Bevölkerung im Zusammenwohnen 
„mit Hausthieren in elenden Hülten zufrieden, auf Kartoffeln und Sauerkohl, 
„selbst mit Ausschluss von Brod, als auf seine Hauptnahrungsmittel hingewiesen, 
„zum Betteln genöthigt, und im stelen oder zeitweisen Genuss des Brannt- 
„weines als Aufreizungs- und Abstumpfungsmittels in seiner Art glücklich 
gewesen.“ 
Der Bericht führt es darauf als Thatsache an, dass die Bevölkerung 
in diesen Gegenden seit 30 Jahren sich ungefähr verdoppelt habe, „ohne 
„dass mit ihr die Vermehrung der Erwerbsmittel oder 
„die Kultur des Bodens auch nur entfernt gleichen Schritt 
„gehalten, und dass namentlich unter der besitzlosen Klasse das frühe Hei- 
„rathen selbst vor den Jahren der Mündigkeit überhand genommen habe.“ 
Das Vorhandensein eines ländlichen Proletariates im
	        
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