Full text: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft. Neunter Band. Jahrgang 1853. (9)

412 Betrachtungen 
wachsende Geschlecht kraft seiner Geburt und auf Grund seines 
Daseins einen Rechtsanspruch geltend machen zu dürfen 
glaubt auf alles, was der Fleiss und die Sparsamkeit früherer 
Jahrhunderte innerhalb eines Staatsgebietes erworben, ohne Rück- 
sicht darauf, wie weit diese Verlassenschaft nach Herkoınmen 
und Gesetz die Ausstattung einzelner Mitglieder des Staatsver- 
bandes geworden ist. 
Damit geht eine Vermischung der Begriffe von Staat und 
Gesellschaft Hand in Hand, mindestens wird das Gebiet des ersteren 
je nach dem Bedürfniss beliebig erweitert. Um so leichter wird 
es die ausschweifenden Vorstellungen über die Grösse der Mittel, 
welche dem Staat zu Gebote stehen, sowie über das Maass der 
Genüsse, worauf das Leben selbst einen Anspruch gewähren 
soll, festzuhalten. 
So bilden diese Ansichten den geradesten Gegensatz zu der 
eben erwähnten einseitigen Entwickelung und missbräuchlichen 
Anwendung des älteren Grundsatzes, nach welchem die Gesell- 
schaft sich die Befugniss beilegte, dem Einzelnen die Bedingungen 
für den Gebrauch seiner Freiheit vorzuschreiben, und die Bahnen 
für die Entwickelung seiner Kräfte und Anlagen anzuweisen. 
Die Beachtung der Verirrungen, in welche man in der älteren 
und jüngeren Vergangenheit nach zwei entgegengesetzten Seiten 
hin gerathen ist, führt zur Erkenntniss des richtigen Weges, 
auf welchem die Heilmittel für die krankende Gesellschaft zu 
finden sein werden. 
So gewiss ein Einklang zwischen dem richtig aufgefassten 
Interesse des Einzelnen und dem des Gemeinwohles besteht, so 
gewiss kann ebensowohl die Person als die Gesellschaft, zumal 
in ihrer nach Raum und der Zahl ihrer Glieder beschränkten 
Entwickelung als Gemeinde -Korporation und Staat zu irr- 
thümlichen Vorstellungen ihres Vortheiles wie ihres 
Rechtes gelangen. Zwischen den falsch aufgefassten Interessen 
des Einzelnen und der Gesammtheit besteht aber keine Harmonie, 
vielmehr ein unvereinbarer Gegensatz. 
Die Ansichten beider Theile werden unvermeidlich beschränkt 
und daher unrichtig sein, wenn die Gesellschaft das Interesse 
des allgemeinen Wohles, die einzelne Person den Eigenvortheil
	        
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