über Armenpflege und Heimathsrecht. 315
Mitglieder der Gemeinde unter dem Druck einer augenblicklichen
Verlegenheit Dienste gegen eine unvollständige Vergütung leisten,
oder eine unwürdige Behandlung stillschweigend, wenn auch mit
grollendem Herzen ertragen, trägt wesentlich dazu bei, die noch
in besserer Lage sich befindenden, jedoch durch dieselben Dienst-
leistungen ihr Brot suchenden, Gefährten auf das Niveau des
gleichen Elendes herabzudrücken. Das Angebot von Seiten un-
selbstständiger, der Willkürherrschaft des augenblicklichen Be-
dürfnisses unterworfener Arbeiler verfälscht den Maasstab für
den Werth einer Dienstleistung; die Pflicht, die Würde und den
Beruf des menschlichen Geschlechts in jedem seiner Glieder zu
ehren, wird durch die Thatsache verdunkelt, dass. eine Anzahl
von Personen eines bestimmten Standes, oder gar der grössere
Theil derselben in einen Zustand herabgesunken ist, in welchem
die Erfüllung dieses Berufes kaum mehr möglich erscheint.
Die Forderung, der Gemeinde bei der Aufnahme neuer Mit-
glieder eine Stimme einzuräumen, ob sie sich von dem neuen
Genossen Vorlheile versprechen kann oder nicht; und ihr auch
Mittel an die Hand zu geben, um auf die Tüchtigkeit ihrer An-
gehörigen einen Einfluss zu üben, ist daher schon berechtigt,
auch wenn man in der Gemeinde nur einen wirthschaft-
lichen Verein zu gemeinsamer Thätigkeit und zur Befriedigung
von Bedürfnissen nach den Gesetzen des Eigenvortheils erblickt.
Um so mehr hat der Staat von einem höheren Stand-
punkte aus die dringendste Veranlassung, der Gemeinde bei der
Gestaltung ihrer ersten und wichtigsten Grundlage nicht jede
Theilnahme zu versagen. Die Gemeinde ist nicht nur ein wirth-
schaftlicher Verein, sondern auch ein Organ der Ge-
sellschaft, welches zur Erziehung des menschlichen Geschlechtes
wesentlich mitzuwirken berufen ist.
‘ Es ist die Aufgabe des gesellschafllichen Lebens in dem
Menschen den Geist der Hingebung an einen höhern Zweck und
Willen zu erwecken und zu beleben; der Erkenntniss Bahn zu
brechen dass er seine Persönlichkeit nicht anders erhalten, noch
seine Bestimmung anders erfüllen kann, als in der und durch
die Gemeinschaft mit einem grösseren Ganzen und einem höheren
Leben. Die Geschichte der Civilisation ist die Geschichte des