Full text: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft. Neunter Band. Jahrgang 1853. (9)

840 Völkerrechtliche Lehre 
widrig herrschenden, aber formell rechtmässigen Regierung ent« 
weder solche Flüchtlinge durch Auslieferung zum Opfer zu 
bringen, welche einen verunglückten Versuch gemacht hatten, 
den ungesetzlichen Druck abzuwerfen, vielleicht also die besten 
Männer eines unglücklichen Volkes; oder aber die Verweigerung 
der Auslieferung durch die unumwundene Erklärung begründen 
zu müssen, dass eine solche Regierung nur eine Gewali- 
herrschaft sei und jeder Angriff gegen sie diesseils als be- 
rechtigt betrachtet werden müsse. Im letztern Falle können die 
Folgen für den gewissenhaflen Staat unahsehbar sein. Im erstern 
dagegen macht er sich, aus blos formellen Gründen oder aus 
Schwäche, zum Mitschuldigen der Gewaltherrschaft und vielleicht 
der Grausamkeiten einer Regierung, welche er selbst hasst und 
verachtet, und trägt das Seinige dazu bei, die Erde zu einem 
grossen Gefängnisse zu machen, aus welchem kein Entrinnen 
ist; er stellt sich auf Seite der Unterdrücker und Henker. Ein 
bis zur äussersten Gränze gehendes Pflichtgefühl gegen die Rechts- 
ordnung kann also in Beihülfe zum schreiendsten Unrechte, eine 
Sorge für ein Mittel der Gesiltigung zur grausamsten Barbarei 
bringen. 
Anderer Art zwar, jedoch nicht eben geringer, sind die 
Nachtheile, welche eine folgerichtige Durchführung des selbsi- 
süchtigen Systemes bringt. Ein Theil derselben tritt unbe- 
dingt und mit Nothwendigkeit ein; andere dagegen erscheinen in 
verschiedener Gestalt und Grösse, je nachdem noch andere Ein- 
richtungen mit diesem Grundsatze verbunden werden. 
In ersterer Beziehung leuchtet vor Allem ein, dass sich ein 
solcher Staat unter allen Umständen nicht nur selbst auf einen 
sehr tiefen Standpunkt im Völkerleben stellt, sondern auch 
zur Festhaltung desselben in weiterem Kreise beiträgt. 
Die ganze Auffassung des menschlichen Lebens und seiner 
wichtigsten Gestaltung, des Staates, ist hier eine enge und klein- 
liche. Weder anerkennt man die Aufgabe des Menschengeschlechtes, 
immer mehr zu einer gemeinsamen Gesitligung vorzuschreiten; 
noch wird überhaupt ein das starre Recht überragendes Ge- 
bot der Sittlichkeit als eine Regel des Völkerverkehres erklärt. 
Wie der Zufall die einzelne Volks- und Staats-Individualilät zu
	        
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