560 Völkerrechtliche Lehre
der Lehre festzustellen. Erstere ist kein sicherer Maasstab für
die Schwere der in der Rechtsordnung angerichteten Verletzung,
indem noch manche weitere Gründe auf das Strafmaass einwirken
können; überdiess muss bei grossen Strafrahmen, wie sie die
neueren Gesetze oft haben, Ungewissheit und Folgewidrigkeit
entstehen. Die allgemeinen Eintheilungen aber finden in vielen
Fällen erst dann Anwendung, wenn schwierige und zweifelhafte
Rechtspunkte bereits entschieden sind. Diess kann aber nur zu
Zögerungen und Zwistigkeiten führen. Eine zweite Bemerkung
aber geht dahin, dass nur die Auslieferungen, nicht aber auch
die Vorbeugungsmaassregeln, so wie die Bestrafungen der eigenen
Unterthanen wegen Verletzungen fremder Gesetze sich nach dieser
Gränzlinie zu richten haben. Möchte man nämlich etwa auch be-
haupten können, dass der fremde Staat \angenommenermaassen
überhaupt nur Schutz gegen gröbere Verletzungen zu verlangen
habe: so ist doch zu bemerken, dass der diesseitige Staat bei
Vorbeugungen und Strafen zu seinem eigenen Nutzen weiter gehen
muss. Die Verschiedenheit des Verfahrens bei einer und derselben
Handlung, je nachdem der Gegenstand des unrechtlichen Willens
der engern oder weitern Rechtsordnung angehörte, könnte nur
Verwirrung des Rechtsbewusstseins und Unwirksamkeit der Maass-
regeln zur Folge haben. Die Beschränktheit des auswärtigen
Anspruches mag es also rechifertigen, dass zur Abwehr oder
Bestrafung kleinern Unrechtes gegen Fremde nichts Eigenthüm-
liches angeordnet wird; allein so weit die einheimische Gesetz-
gebung zum Schutze des eigenen Rechtes geht, hat sie, ergän-
zungsweise, auch das fremde zu berücksichtigen, und zwar
gleichmässig sowohl nach Form als Inhalt der Maassregeln.
Auch in der Lehre von dem Verhalten zum öffentlichen
Rechte anderer Staaten sind es zwei Fragen, welche eine beson-
dere Beachtung schon bei der allgemeinen Feststellung der Theorie
verdienen. Die eine geht dahin: ob die Nichtauslieferung von
Flüchtigen sich auch auf Diejenigen erstrecke, welche gegen die
Kriegsdienstordnung ihres Vaterlandes gefehlt haben, und
also entweder nach bereits geschehener Einreihung in das Heer
fahnenflüchtig geworden sind, oder sich der Aushebung durch
Flucht entzogen haben. Zweitens aber fragt sich: ob die vor-