622 Ueber Begriff und Wesen
in ihrem wahren Berufe nicht begründet ist, sondern ihr nur der
Bequemlichkeit willen übertragen wird. Es giebt also aufge-
tragene, commissorische Geschäfte, die einem anderen
Regierungszweige angehören und nur wie durch eine Bevoll-
mächtigung an die Polizeibehörden gekommen sind. Diese haben
nämlich
1) geringfügige Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden, bei denen,
wenn der versuchte Vergleich nicht zu Stande kommt, die schleu-
nige Fällung des Urtheils nach abgekürztem Verfahren besonders
wünschenswerth ist, z. B. die Händel zwischen Lohnkutschern
und Reisenden, Dienstboten und Herrschaften, Miethsleuten und
Vermiethern.
2) Sie erkennen Strafen geringer Rechtsverletzungen zu,
z. B. kleiner Diebstähle, Betrügereien, Körperverletzungen, der
Ehrenkränkungen, des Fischens in öffentlichen Gewässern, der
Zerstörung oder Beschädigung von fremdem Eigenthum, des Ver-
rückens der Gränzen, des Abpflügens von fremdem Lande, der
Widersetzlichkeit oder des ungeziemenden-Betragens gegen Staats-
beamte u. dgl. Die neuen Polizeistrafgesetzbücher, z. B. von
Basel-Stadt, Württemberg und Hannover, enthalten eine ziemliche
Anzahl solcher Strafbestimmungen. Es hat zur Unklarheit in den
Begriffen ohne Zweifel beigetragen, dass man sich daran gewöhnt
hat, Gesetzwidrigkeiten, die mit einer geringen Strafe belegt sind,
überhaupt Polizeivergehen zu nennen, blos weil die Unter-
suchung über sie in den nämlichen abgekürzten Formen geschieht,
wie über die wahren Polizeiübertretungen, wobei man ganz unter-
liess, auf die Wesenheit der verpönten Handlungen, sowie auf
den Beweggrund zur Strafandrohung Rücksicht zu nehmen. Daher
‚stehen Strafgeseize aus dem Justizzweck (gegen Rechtsverletzun-
gen) mit solchen, die aus polizeilichen, volkswirthschafllichen
(z. B. Privatlotterieen, Zinswucher, Beeinträchtigung eines Erfin-
dungspatentes) und Volksbildungszwecken (z. B. gegen öffentlich
erscheinende Unsiltlichkeit) herrühren, vermengt. In den Straf-
gesetzbüchern findet freilich auch eine Scheidung nach den Gründen
der Strafdrohung nicht Stalt, und man hat sich meistens auch im
Strafrecht mit diesen Gründen wenig beschäftigt, wie denn über-
haupt die ganze Justizpolitik bis jetzt nur stückweise und gele-