Zweiter Teil. Einleitung. $ 71. 227
(alle, welche dem Reiche nicht durch die RV. übertragen sind)
zur selbständigen Regelung verblieben. Hinsichtlich dieser stehen
ihnen nicht bloß Verwaltungsbefugnisse, sondern auch gesetz-
geberische Funktionen zu. Die Einzelstaaten sind selbständig in
bezug auf die Feststellung ihrer Verfassung. Die Organe der
Einzelstaaten finden ihren Ursprung lediglich im Einzelstaat; dem
Reiche steht auf die Bestellung derselben keinerlei Einfluß zu*.
Die Einzelstaaten sind Subjekte des Völkerrechts und im Besitze
wenigstens eines Teiles der völkerrechtlichen Hoheitsrechte (des
Gesandtschaftsrechts, des Vertragsschließungsrechts, jedoch nicht
des Rechts über Krieg und Frieden) *,
Die deutschen Staaten sind aber keine souveränen Staaten®.
Sie sind den Anordnungen einer höheren Gewalt, der Reichsgewalt,
unterworfen. Auch ihren Untertanen gegenüber ist ihre Herrschaft
durch die Befugnisse dieser durchbrochen. Die Regelung der Kom-
petenzverhältnisse steht nicht ihnen, sondern dem Reiche, und zwar
diesem allein zu®.
Das Reichsland Elsaß-Lothringen ist kein Staat,
sondern ein vom Reiche regiertes Gemeinwesen, das
* Aus diesen Gründen erscheint es nicht zweckmäßig, die Bezeichnung
„Selbstverwaltungskörper“ von den Kommunalverbänden auf die Staaten
zu übertragen, wie von Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches 1 102 ff.,
Kl. A. 28 geschieht. Vgl. übrigens über den Begriff der Selbstverwaltung $ 106.
4 Vgl. unten S. 262, 283.
5 Wenn Haenel, Deutsches Staatsr. 1 802 bemerkt, die deutschen Staaten
seien, am Einheitsstaat gemessen, nicht Staaten, so ist das richtig,
weil ihnen das für den Einheitsstaat wesentliche Merkmal der Souveränetät
fehlt. Aber dieser Umstand genügt nicht, ihnen die Eigenschaft von Staaten
überhaupt abzusprechen, da, wie oben ($ 6 S. 21) auseinandergesetzt ist,
die Souveränetät für die Eigenschaft eines Gemeinwesens als Staat nicht
wesentlich ist.
6 Daß in Deutschland die Einzelstaaten nicht souverän sind, die
Souveränetät vielmehr lediglich dem Reiche zusteht, wird von der ganz
überwiegenden Mehrheit der Schriftsteller angenommen. Vgl. namentlich
Haenel, Vertragsmäßige Elemente 239 ff., Deutsches Staatsr. 1 797, 802;
Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches 1 101ff., Kl. A. 20ff.; Rosin,
Ann.D.R, (1888) 270 ff.; Jellinek, Staatsl. 750f.; Gaupp, Württembergisches
taatsrecht, in Marquardsens Handb. 13ff.; Göz, Württemberg. St.R. (im
ff. Recht d. Gegenwart 1908) 13 ff.; Mejer, Einleitung 294; Bansi, Ann.D.R.
(1898) 682; Loening, Grundzüge der Verfassung des Deutschen Reiches 22, 29;
Anschütz, Enzyklop. 69 ff.; jetzt auch Bornhak, Preuß. Staatsr. (2. Aufl.) 1 71.
Anderer Ansicht: Arndt, Kommentar zur Reichsverfassung 23 ff. (modifiziert
seine Ansicht im Staatsrecht des Deutschen Reiches 40, 41) und v. Jagemann,
Die deutsche Reichsverfassung (1904) 39 ff., 49 ff., die eine fortdauernde
Souveränetät der Einzelstaaten gehaupten. Auch die Ansicht Treitschkes,
Politik 1 39 ff., 2 344, daß der Staat Preußen die Souveränetät bewahrt
habe, weil dem König von Preußen die Kriegsherrlichkeit im Reiche zustehe
und Preußen durch geine Stimmen im Bundesrate jede Verfassungsänderung
hindern könne, ist staatsrechtlich nicht zutreffend. Preußen ist der
Herrschaft des Reiches, wie jeder andere deutsche Staat, unterworfen; es
können insbesondere Reichsgenetze gegen seinen Willen ergehen. Und
soweit der König von Preußen in Reichsangelegenheiten als Kaiser tätig
wird, handelt er nicht als Organ des preußischen Staates, sondern
als Reichsorgan.
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