Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

374 Zweiter Teil. Zweites Buch. $ 105. 
der Abgeordneten haben aber, wenn sie den Tatbestand einer 
Straftat enthalten, nicht den Charakter erlaubter Handlungen, 
Sie können daher, wenn wegen derselben auch eine Strafe nicht 
verhängt werden darf, doch unter anderen Gesichtspunkten, z. B. 
bei den Fragen der Notwehr, der Retorsion, der Anstiftung, 
Gegenstand strafrechtlicher Würdigung werden!. Von der 
Zeugnispflicht sind die Abgeordneten auch in bezug auf 
Außerungen, die sie in Ausübung ihres Berufes getan, nicht be- 
freit!?d; [ebensowenig von der Pflicht, sich in Strafprozessen, die 
N. IV, jetzt auch Olshausen N. 4 (früher and. M.); ferner Hubrich a. a. O. 
959 ff.; Schwedler a. a. O. 28ff.; Arndt, Komm. 296; Bornhak, Preuß. Staatesr. 
1 427; ebenso die Lit. zu dem gleichlautenden Art. 30 RV., vgl. unten bei 8 133. 
Bestrittener ist, ob $ 11 auch Zivilklagen aus Anlaß parlamentarischer 
Außerungen (z. B. auf Schadenersatz wegen Offenbarung von Fabrikations- 
geheimnissen) verbieten will. Dies ist im Hinblick auf die ganz allgemein 
gehaltene Fassung des $ 11, welche Unterscheidungen zwischen den einzelnen 
rten der außerparlamentarischen Verfolgung völlig ausschließt, zu bejahen: 
so auch ÖOlsbausen a. a. O.; Oppenhoff, Komm. zu StrGB. 11; Binding, 
Handtb. d. Strafr. 1676; Arndt, Komm. z. preuß. Verf. 295; Dambitsch, Komm. 
z. RV. 461; Hubrich a. a. O. 370; v. Muralt a. a. O. 95. And. M. Frank 
zu 3 1 StrGB. N. IV, Laband, St.R. 1 357 N. 1 und besonders Wittmaack, 
Arch.ÖfE.R. 21359. Letzterer arbeitet wesentlich mit der Behauptung, daß 
die Inanspruchnahme im Wege des Zivilprozesses „keine gerichtliche Ver- 
folgung“ sei. Dies ist nicht einleuchtend. — Nicht aufgehoben sind diejenigen 
landesgesetzlichen Bestimmungen, welche den Landtagsmitgliedern, die gegen 
öffentliche Beamte die Beschuldigung pflichtwidrigen Betragens erheben, die 
Verpflichtung auferlegen, diese der Regierung namhaft zu machen. Sächs, 
LO. 8 14, S.-Weim. GO. 8 29. And. Ans.: Zimmermann im Arch. Strafrecht 
88 314. ÜUbereinstimmend: Hubrich, Parlamentar. Redefreiheit 412 N. 56. — 
[Die nach Maßgabe der Landesgesetze zulässige Versetzung eines Beamten 
In den endgültigen oder einstweiligen Ruhestand (unten $ 154) ist keine 
Disziplinarstrafe, überhaupt kein „Ziehen zur Verantwortung“, mithin durch 
die Bestimmungen über die parlamentarische Immunität, durch $ 11 StrGB. 
auch bei weitester Auslegung, nicht ausgeschlossen: Arndt in DJZ. (1899) 445, 
Komm. z, Preuß. Verf., (Art. 84) 296; Rehm in DJZ. (1900) 112, 113; Geigel 
im Arch.Öff.R. 17 446 ff. A. M. Hubrich a. a. 0.317, 893 und Parlamentarische 
Immunität und Beamtendisziplin (1901). Bornhak, Preuß. St.R. 1 427 N. 8 
meint, daß die Zurdispositionstellung der konservativen Gegner der Kanal- 
vorlage, welche politische Beamte waren (1899) mit dem Wortlaut, nicht 
aber mit dem Geist der Verfassung vereinbar gewesen sei, — bleibt aber 
den Beweis hierfür schuldig. 
...!* So mit Recht Binding, Handb. d. deutsch. Strafrechts 676 N. 14, 
Zimmermann im Arch. f. Strafr. 81 197 ff., 82 313 ff.; Seidler, Immunität 82 ff.; 
v. Liszt, Lehrb. d. deutsch. Strafr. (1 8. Aufl.) 824 S. 117; Hubrich, Parlam. 
Redefreiheit 340, 346 ff., gegen das Reichsgericht (Entscheid, Strafs. 4 14 ff‘); 
Fuld im Gerichtssaal 85 532 ff. ; Sonntag, Schutz usw. 16. — Hubrich a. a. O. 350 
will gegenüber parlamentarischen Reden auch Kompensationen und Wahrheits- 
beweis ausschließen, weil damit ein Rechtsnachteil für den Abgeordneten 
vorhanden sei. Die Worte „zur Verantwortung gezogen“ wollen den Ab- 
geordneten aber nicht vor jedem Rechtsnachteil, sondern nur vor gerichtlichen 
und disziplinärem Verfahren schützen. Weitere Literatur zu diesen Fragen: 
Olshausen, Komm. z. StrGB. $ 11; Schwedler, Parlament. Rechtsverletzungen 
21, 24, 23f., 40. 
IT Gegen Befreiung von der Zeugenpflicht: Laband, StR. 1 357 und 
DJZ. 11 953 ff.; Mittelstädt in den Preuß, J. 57 557; O. Lewald im Gerichts- 
enal 89 54ff.; Altsmann im Arch.Öff.R. 1 589 ff.; Zimmermann im Arch,Strafr.
	        
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