Full text: der Weltkrieg 1914. Band 2. (1)

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Bis in den Sommer hinein haben die englischen Staatsmänner 
ihrem Parlament versichert: kein Vertrag, keine Abmachung binde das 
schrankenlose Selbstbestimmungsrecht Englands, falls ein Krieg aus- 
brechen sollte. Frei könne Großbritannien sich entscheiden, ob es an 
einem europäischen Kriege teilnehmen wolle oder nicht. Also, meine 
Herren, war es keine Bündnispflicht, kein Zwang, es war auch keine 
Bedrohung des eigenen Landes, die die englischen Staatsmänner veran- 
laßte, den Krieg entstehen zu lassen und dann sofort selbst in ihn ein- 
zutreten. Dann bleibt nur übrig, daß das Londoner Kabinett diesen 
Weltkrieg, diesen ungeheuerlichen Weltkrieg kommen ließ, weil ihm die 
Gelegenheit gekommen schien, mit Hilfe seiner politischen Ententegenossen 
den Lebensnerv seines größten europäischen Konkurrenten auf dem Welt- 
markt zu zerstören. (Stürmische Zustimmung im ganzen Hause.) 
So, meine Herren, tragen diese beiden Staaten England und Ruß- 
land zusammen — über Rußland habe ich mich am 4. August ausge- 
sprochen — vor Gott und der Menschheit die Verantwortung für diese 
Katastrophe, die über Europa, die über die Menschheit hereingebrochen 
ist. (Lebhafte Zustimmung.) 
Die belgische Neutralität, die England zu schützen vorgab, ist eine 
Maske. Am 2. August, abends um 7 Uhr, teilten wir in Brüssel mit, 
die uns bekannten Kriegspläne Frankreichs zwängen uns, um unserer 
Selbsterhaltung willen durch Belgien zu marschieren. Aber schon am 
Nachmittage dieses 2. August, also bevor in London das geringste von 
unserer Demarche in Brüssel bekannt war und bekannt sein konnte, hatte 
England Frankreich seine Unterstützung zugesagt, (hört, hört!) und zwar 
bedingungslos zugesagt für den Fall eines Angriffs der deutschen Flotte 
auf die französische Küste. Von der belgischen Neutralität war dabei mit 
keinem Worte die Rede. Diese Tatsache ist festgestellt durch die Erklärung, 
die Sir Edward Grey am 3. August im englischen Unterhaus abgab, 
und die mir am 4. August infolge des erschwerten telegraphischen Ver- 
kehrs nicht in extenso bekannt war, und bestätigt durch das Blaubuch 
der englischen Regierung selbst. Wie hat da England behaupten können, 
es habe das Schwert gezogen, weil wir die belgische Neutralität verletzt 
hätten? (Lachen.) Und wie konnten die englischen Staatsmänner, denen 
doch die Vergangenheit genau bekannt war, überhaupt von belgischer 
Neutralität sprechen? (Lebhaftes Sehr richtig!) Als ich am 4. August 
von dem Unrecht sprach, das wir mit dem Einmarsch in Belgien be- 
gängen, stand noch nicht fest, ob sich die Brüsseler Regierung nicht in der 
Stunde der Not dazu entschließen würde, das Land zu schonen und sich 
unter Protest auf Antwerpen zurückzuziehen. Sie erinnern sich, daß ich 
auf den Antrag unserer Heeresverwaltung nach der Einnahme von 
Lüttich eine erneute Aufforderung in diesem Sinne an die beldgische 
Regierung gerichtet habe, aus militärischen Gründen mußte die Mög- 
lichkeit zu einer solchen Entwicklung am 4. August unter allen Umständen 
offengehalten werden. 
Für die Schuld der belgischen Regierung lagen schon damals mannig- 
fache Anzeichen vor. Positive schriftliche Beweise standen mir noch nicht 
zu Gebote, den englischen Staatsmännern aber waren diese Beweise 
genau bekannt. (Lebhaftes Sehr richtig!l) Wenn jetzt durch die in 
Brüssel aufgefundenen, von mir der Oeffentlichkeit übergebenen Akten- 
 
	        
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