Full text: der Weltkrieg 1914. Band 2. (1)

— 806 — 
gefahr ausgeschlossen hätten. Verhältnismäßig am freiesten stand noch 
England da. Ich habe schon vorhin daran erinnert, mit welcher Emphase 
die englischen Staatsmänner immer aufs neue ihrem Parlament das 
ganz ungebundene Selbstbestimmungsrecht Großbritanniens gerühmt 
haben. vier konnte am ersten der Versuch zu einer Verständigung 
gema werden, die tatsächlich den Weltfrieden gerantiert hätte. (Sehr 
richtig! « 
Danach habe ich gehandelt, danach mußte ich handeln. Der Weg 
war schmal, das wußte ich wohl, die insulare englische Denkart hat im 
Laufe der Jahrhunderte einen politischen Grundsatz mit der Kraft eines 
selbstverständlichen Dogmas ausgestattet, den Grundsatz nämlich, daß 
England ein arbitrium mundi gebühre, daß es nur aufrecht erhalten 
könne durch die unbestrittene Seeherrschaft einerseits und durch das viel- 
berufene Gleichgewicht der Kräfte auf dem Kontinent andererseits. Ich 
habe niemals gehofft. diesen alten englischen Grundsatz durch Zureden zu 
brechen. Was ich für möglich hielt, war, daß die wachsende Kraft Deutsch- 
lands und das wachsende Risiko eines Krieges England nötigen könnte, 
einzusehen, daß dieser alte Grundsatz unhaltbar, unpraktisch geworden ist, 
und einen friedlichen Ausgleich mit Deutschland vorzuziehen. Jenes 
Dogma aber, meine Herren, lähmte immer wieder die Möglichkeit der 
Verständigung. 
Einen neuen Anstoß erhielten die Verhandlungen durch die Krisis 
des Jahres 1911. Ueber Nacht war dem englischen Volk klar geworden, 
daß es vor dem Abgrund eines europäischen Kriegs gestanden hatte. Die 
Volksstimmung zwang die englischen Machthaber zu einer Annäherung 
an Deutschland. In langwieriger Arbeit gelang es schließlich, sich über 
verschiedene strittige wirtschaftliche Interessenfragen, die Vorderasien und 
Afrika betrafen, zu verständigen. Damit sollten die möglichen politischen 
Reibungsflächen vermindert werden. Die Welt ist weit, sie bietet, wenn 
man nur nicht die freie Entfaltung unserer Kräfte hindern will, beiden 
Völkern Raum genug, im friedlichen Wettbewerb ihre Kräfte zu messen. 
Das an der Grundsatz, den unsere Politik von jeher vertreten hat. (Sehr 
richtig! 
Aber, meine Herren, während wir so verhandelten, war England 
unablässig darauf bedacht, seine Beziehungen zu Rußland und Frank- 
reich immer enger zu gestalten. Das Entscheidende dabei war, daß über 
das politische Gebiet hinaus immer weitere militärische Abkommen für 
den Fall eines Kontinentalkrieges getroffen wurden. England betrieb 
diese Verhandlungen möglichst geheim. Wenn etwas davon durchsickerte, 
wurde ihre Bedeutung in Presse und Parlament als durchaus harmlos 
hingestellt. Verborgen sind sie uns nicht geblieben, wie Sie aus den Ver- 
öffentlichungen wissen, die ich veranlaßt habe. Die gesamte Situation, 
meine Herren, war eben die: England war zwar bereit, sich über Einzel- 
fragen mit uns zu verständigen, oberster und erster Grundsatz der eng- 
lischen Politik aber blieb ihm: Deutschland muß in der freien Entfaltung 
seiner Kräfte in Schach gehalten werden durch die balance of power. 
Das ist die Grenzlinie für freundschaftliche Beziehungen mit Deutschland. 
Zu dem Zwecke: Stärkung der Tripleentente bis aufs äußerstel! 
Als die Freunde militärische Zusicherungen dafür verlangen, sind 
die englischen Staatsmänner sofort bereit, sie zu geben. Der Ning ist
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.