136 2. Buch. 2. Abschnitt. Verfassungsrecht des Deutschen Reiches.
schreiten. Ihrem Zwecke nach werden die Zölle eingeteilt in Finanz-
zölle, die in erster Linie zur Vermehrung der Staatseinnahmen dienen,
und in Schutzzölle. Für die Erhebung der letzteren sind neben den
finanziellen auch volkswirtschaftliche Gesichtspunkte maßgebend, indem
man durch sie die einheimischen Erzeugnisse gegen die ausländischen
zu schützen sucht („Schutz der nationalen Arbeit“). Durch den den
ausländischen Waren bei Einführung auferlegten Zoll soll der aus-
ländische Wettbewerb von der inländischen Produktion ferngehalten
bezw. erschwert werden.
Den Gegensatz bildet der Freihandel. Dieser sucht in Anlehnung
an die Lehren von Ad. Smith#) durch Freigabe des Wettbewerbs
und ungehinderten Güteraustausch der Nationen untereinander die
Gütererzeugung und damit den Wohlstand zu fördern. Die einseitige
Einführung dieses Systems würde, da die meisten Verkehrsstaaten im
Interesse ihrer einheimischen Industrie Schutzzölle eingeführt haben, zur
schwersten Schädigung der einheimischen Interessen des dem Freihandel
huldigenden Staates führen. Abgesehen davon scheitert dies System
an der Ungleichheit der Produktionsbedingungen, welche in den ein-
zelnen Staaten für die einzelnen Zweige der Gütererzeugung bestehen.
Jeder Staat hat das Recht, selbständig nach eignem Ermessen die
Zollsätze und die Bedingungen für die Einfuhr fremder Erzeugnisse
festzusetzen. Man nennut dies „Tarifautonomie“ des Staates.
Eine Schranke findet jedoch diese Autonomie, indem andere Staaten
bei zu weit gehenden Schutzzöllen zu Gegenmaßregeln (Retorsions-
zöllen) greifen werden. Ferner muß auch bei der Bemessung der
Schutzzölle berücksichtigt werden, daß nicht infolge der Höhe dieses
Zolles für die einheimische Industrie die Einführung der nötigen Roh-
stoffe erschwert wird.
Um derartige wirtschaftliche Schädigungen zu vermeiden bezw. herab-
zumindern, werden Handelsverträge geschlossen, durch welche die Zölle
in ihren Höchstbeträgen gegenseitig für längere Zeit festgelegt und in
denen sie für bestimmte Gegenstände gegen Zugeständnisse des anderen
Staates herabgesetzt werden. Häufig enthalten die Verträge die
Meistbegünstigungsklausel, kraft deren der eine Vertragsstaat
dem anderen Kontrahenten alle Vorteile zusichert, die irgend einem
anderen Staate gewährt werden.
MI. Entwicklung des Zollwesens in Deutschland.
Bereits im alten Deutschen Bunde hatten sich auf Anregung von
Preußen die Mehrzahl der deutschen Staaten zum Zollverein zu-
sammengeschlossen. Die Binnenzölle fielen infolgedessen innerhalb des
Vereinsgebietes sort. Die Grenzzölle wurden für gemeinsame Rechnung
erhoben und nach der Einwohnerzahl unter die einzelnen Vereinsstaaten
verteilt. Wenn auch der Zollverein zu einem gewaltigen Aufschwung
Rötaatsr. §§ 44, 47, 48; G. Meyer, Rötaatsr. §§ 208, 209; Arndt,
Rotaatsr. 8§ 37, 38.
1) Ad. Smith (1723—1790) Professor in Glasgow. Sein bahnbrechendes
Werk lautet: „Untersuchungen über die Natur und die Ursachen des National-
wohlstandes“ (1776).