Full text: Archiv des öffentlichen Rechts. 37. Band. (37)

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wiesen wird °. Trotz der mannigfaltigen Fortschritte des Verbands- 
begriffes* hat sich die eben geschilderte Summierungstheorie bis 
in die neueste Zeit herein erhalten. Ich zitiere nur Namen wie 
MEURER, HÖLDER und BINDER. 
- Gegenüber der die Verbandsperson als Fiktion betrachtenden, 
noch in der neuesten vertretenen Lehre, bedeutet die organische 
Auffassung der Verbände und speziell der Staaten aus folgenden 
Gründen eine Verbesserung: Die Anhänger der organischen Theorie 
und insbesondere O. v. GIERKE betonen das Reelle der Korpo- 
ration und auch des Staates. 
Ich unterscheide mich von GIERKE aber darin, daß ich nicht 
eine reelle Gesamtperson der Korporation, nicht einen „wollenden 
und handelnden Verbandsorganismus* annehmen kann. Reell oder 
wirkend ist die der Körperschaft zugrunde liegende relativ einheit- 
liche Willensäußerung der einzelnen Mitglieder, ferner der Befehl 
der Rechtsordnung, daß diese Willensvereinigung als Rechtssubjekt 
betrachtet wird. Die körperschaftliche Rechtsperson ist die Zu- 
sammenfassung einer relativ einheitlich wirkenden Vielheit von 
Mitgliedern zu einer rechtlichen Einheit, die den einzelnen Mit- 
gliedern gegenübertritt. Dieses Gegenübertreten ist völkerpsycho- 
logisch begründet. 
Der Verbandswille und also auch der Staatswille ist etwas 
anderes als die bloße Summe der Einzelwillen. Der Verbands- 
wille tritt nicht bloß in außergewöhnlichen, sondern auch in nor- 
malen Zeiten den Einzelwillen als etwas qualitativ und quantitativ 
von ihnen Verschiedenes gegenüber °. Daraus darf aber nicht 
  
  
® L. 76 de judic. D. 5, 1 (Alfenus). 
+ Vgl. das Fundamentalwerk O. v. GIERKEs über das deutsche Ge- 
nossenschaftsrecht, insbes. Bd. III (1881), die Staats- und Korporationslehre 
des Altertums und Bd. IV (1913), ferner die Franzosen MıcHouD, 1906 und 
1909, La theorie de la personnalit& morale, SALEILLES, De la Personnalite 
juridique (1910), auch FERRARA, Le persone giuridiche (1907—1914) u. a. m. 
5 Ueber die Unterscheidung von relativ einheitlichem Triebwollen und 
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