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Kaisers, ausnahmsweise und vorübergehend, auch ohne zur
Mobilmachung zu greifen, „nothwendige Verstärkungen“ des
Heeres eintreten zu lassen, d. h. mit anderen Worten, die ge-
setzliche Friedenspräsenzstärke zu überschreiten, — dass auch
dieses Recht, wie es durch $ 6, Absatz 5 des Wehrgesetzes vom
9. November 1867 anerkannt wird, aus Art. 63% herzuleiten sei °°).
U. E. kann diese Berechtigung sich nicht auf Art. 63%
stützen.
Zunächst lassen es die Verhandlungen des constituirenden
Reichstags durchaus nicht erkennen, dass bei Einfügung dieser
Bestimmung in die Verfassung die Absicht obgewaltet habe,
dem Kaiser eine Ueberschreitung der gesetzlichen Friedenspräsenz
zu gestatten.
Allerdings wurden die Anträge Duncker und GünTtHer ®%),
welche eine solche Ueberschreitung ausdrücklich gesetzlich ver-
bieten wollten, abgelehnt; doch, wie sich aus den Verhandlungen
ergibt, nicht sowohl deshalb, weil man dieses Recht dem Bun-
desfeldherrn einräumen wollte, als weil man nach den Erklä-
rungen des Bundescommissars von PonsieLskı eine solche Nor-
mirung nicht mehr für nothwendig erachtete ®5).
Die unbestrittene Befugniss des Kaisers, die Präsenz vor-
übergehend auch über das Mass der gesetzlichen Friedens-
präsenzstärke hinaus zu bestimmen, hat ihren Rechtsgrund eben
nur in der positiven Bestimmung des $ 6° des Wehrgesetzes.
An der Richtigkeit dieser Thatsache ändert auch nichts der
83) So namentlich SevveL;, Hırra’s Annalen 1875, S. 1416 ff.; v. Rönne,
Deutsches Staatsrecht, Bd. II, S. 143; TmupıcHhum, Verfassungsrecht des
Norddeutschen Bundes, $. 434; Preuss, a. a. O., $8. 91.
84) BezoLp, II, $. 458.
86) Der Abgeordnete WALDEcK sagte mit Bezug hierauf, ohne Wider-
spruch zu finden: „Nach den Erklärungen, die der Herr Commissarius ge-
geben hat, scheint mir dieser Zweifel nicht begründet zu sein. Es scheint
die Feststellung des Präsenzstandes innerhalb der gesetzlichen Normen hier
gemeint zu sein.“ (Bezoıp Il, S. 457).