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Die Mängel der niederländischen Wohnungsgesetzgebung
liegen zweifellos vor allem darin, dass der Regierung ein ver-
hältnismässig zu geringer Einfluss auf die faktische Durchführung
des Gesetzes seitens der Gemeinden eingeräumt ist, da sie lediglich
im Wege des Provinzialausschusses auf die Erlassung der bau-
und wohnungspolizeilichen Vorschriften dringen kann. Ob und
inwieweit dagegen die Gemeinden wirklich sich der praktischen
Wohnungsfürsorge widmen und hiefür Geldmittel verwenden, hängt
von deren gutem Willen und der jeweiligen Zusammensetzung
ihrer Vertretung ab. Ganz besonders nachteilig haben sich
auch die zahlreichen Fristbestimmungen des Gesetzes erwiesen,
welche schon durch die Länge der anberaumten Frist es sowohl
dem Eigentümer als der Gemeinde selbst ermöglichen, jede posi-
tive Wohnungsreform zu vereiteln.
Unter den Bundesstaaten des Deutschen Reiches ist es
Hessen gewesen, das zuerst die grundlegende Wichtigkeit einer
gesetzlichen Normierung für eine zielbewusste und einheitlich ge-
leitete Wohnungsfürsorge erkannt hat. Nachdem sich das erste
Gesetz vom 1.7. 1893 lediglich auf die Wohnungsbeaufsichtigung
bezogen hatte, trägt das am 7. 8. 1902 erlassene, mit 15. 1. 1903
in Kraft getretene Gesetz betreffend „Die Wohnungsfür-
sorge für Minderbemittelte“ bereits in vollem Masse
den Charakter eines Volkwohnungsgesetzes. Dasselbe
stellt sich als Glied eines sozialpolitischen Gesetzeskomplexes
dar, welcher ausser dem genannten noch ein Gesetz betreffend
die Errichtung einer Hessischen Hypothekenbank v. 12. 7. 1902,
dann das Gesetz betreffend die Landeskreditkasse v. 6. 8. 1902
und die öffentlichen Sparkassen v. 8. 8. 1902 umfasst. Es be-
zieht sich nicht bloss auf den Begriff des „Arbeiters“ wie das
österreichische oder belgische Gesetz, sondern auf „Minder-
bemittelte“ überhaupt, worunter die Gesamtheit der in Be-
zug auf das Wohnungswesen Fürsorgebedürftigen verstanden wird.
Die Abgrenzung der materiell Begünstigten wird daher nicht im