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denen er in freundlichster Weise anerkennt, dass sie die Selbständigkeit
des Rechts gegenüber der Staatsgewalt scharf betonen, aber doch meint,
dass sie in einem Dualismus von Staats- und Rechtsgewalt stecken bleiben. Dies
letztere beruht auf einem Missverständnis; denn im Resultat stimme ich
wesentlich mit Kr. überein, wenn ich auch gern anerkenne, dass er den
springenden Punkt schärfer herausarbeitet, als es in meinem — vor nun
bald 20 Jahren erschienenen — Buche geschehen ist, das er seiner Kritik
zu Grunde legt. Die Uebereinstimmung in der Hauptsache ergibt sich ja
schon aus meiner prinzipiellen Ablehnung der Lehre von der Staatssouveräni-
tät, was Kr. selbst hervorhebt. Er supponiert mir einen Dualismus von
Rechtsgewalt und Staatsgewalt, während ich allenfalls einen Dualis-
mus von Recht und Staat — oder vielmehr sozialem Gemeinwesen — an-
nehme, wenn man dies überhaupt einen Dualismus nennen kann; man
müsste dann auch einen Dualismus von Recht und Individuum konstatieren.
Allerdings, so wenig wie das Individuum vom Recht geschaffen ist, ebenso
wenig ist es das elementare Gemeinwesen, ohne das Individuen ebenso
wenig zu denken sind, wie Gemeinwesen ohne Individuen. Aber mit der
Grundtatsache der Existenz von Individuen in sozialen Verbänden d. h. der
Existenz des &vIpwnog L&ov roArtnöv ist auch implicite die Existenz von
Willensrelationen zwischen Individuen und sozialem Verband d. h. das
Recht gegeben. Die Gewalt des sozialen Verbandes, also auch die Staats-
gewalt, ist Willensrelation und daher durchaus rechtlicher Natur; hier
ist von einem Dualismus keine Rede.
Eine wirkliche Meinungsverschiedenheit liegt freilich an einem andern,
hiermit zusammenhängenden Punkte. Sowohl die Autonomie des Rechts
wie das Wesen der sozialen Verbände, der Gesamtpersonen, glaubt Kr.
nur mit Hilfe des Zweckmoments geistig erfassen zu können. Er geht
dabei nicht den Weg IHERINGs, der sich durch sein aprioristisches Dogma
vom staatlichen Zwangsmonopol in unlöslichen Selbstwiderspruch verwickelt.
Näher berührt er sich mit Rosın, dem er jedoch allzu einseitiges Haften
am Zweck allein vorwirft. KRrABBEs Gedankengang ist in Kürze folgender.
Die Beobachtung des individuellen Wollens und Handelns lehrt, dass nicht
jede Zweckvorstellung eine Handlung auslöst, vielmehr nur dann, wenn die
Erreichung des Zweckes für unsre Persönlichkeit Wert hat, Reali-
sierungswert. „Auch bei den Rechtsnormen haben wir als Inhalt einen zu
realisierenden Zweck zu konstatieren. Um die Sanktion (den Befehl zur
Realisierung dieses Zweckes) zu finden, müssen wir also das Wertverhältnis
suchen, worin jener Zweck sich befindet, oder richtiger ..... . das Subjekt,
von welchem dieser Wert herrührt“. „Recht ist ein Wertverhältnis ; welches
ist das Subjekt des Rechtswertes?“ Die Rechtsnormen stellen zwischen den
Menschen eine Ordnung, einen Zusammenhang her, den wir als Gemeinschaft
bezeichnen. Der „Gemeinschaftszweck gibt den Massstab, womit
der Rechtswert bemessen wird, und kann also das Subjekt dieses Wertes