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Aufsätze.
Das positive Recht als Staatswille.
Von
Dr. E. HöLDER in Leipzig.
Man bezeichnet das positive Recht als Staatswille.. Diesem
schreibt man die Besonderheit zu, dass er stets „seine Vollzie-
hung von anderen erwartet“ (so BIERLING, Jur. Prinzipienlehre I
S. 29) oder „durchweg imperativische Natur hat“. SCHUPPE
(Der Begriff des subjektiven Rechts S. 16) schreibt diese dem
Rechte schon deshalb zu, weil es überhaupt Gewolltes ist. Es
liegt aber nicht im Begriffe des Willens, dass die Verwirklichung
seines Inhaltes von anderen erwartet wird. Vielmehr ist gleich
dem Verhalten beliebiger Dinge das Verhalten anderer Men-
schen ein Gegenstand unseres Willens nur insoweit, als wir
darauf einwirken können, während es als ein unsrer Einwirkung
entzognes nur ein Gegenstand unsres Wunsches ist. Unrich-
tig ist die Annahme, die namentlich ZITELMANN (Irrtum und
Rechtsgeschäft 8. 34 ff.) vertreten hat, Gegenstand unsres Willens
sei ausschliesslich unser eigenes Verhalten. Wäre Gegenstand
des von mir durch mein Verhalten geäusserten Willens nicht
der von mir erwartete Erfolg, weil er nicht ausschliesslich von
meinem Willen abhängt, so wäre Gegenstand desselben auch
nicht das Verhalten meines Körpers, das gleichfalls nicht aus-
schliesslich von meinem Willen abhängt. Ist es gewollt in Er-
Archiv für öffentliches Recht. XXIII. 3. 21