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derung vor die Obrigkeit nicht entspricht, zum Zwecke der Vorfüh-
rung vor diese festzunehmen. Hat er aber auch die dazu erforder-
liche reale Macht? Wie die Gewalt des Herrn über den Sklaven
ihm nicht die zu dessen Ueberwältigung erforderliche Macht verleiht,
so auch die Ladungsgewalt des Bürgers über den Mitbürger. Es
bedarf aber in der Regel dieser Ueberwältigung nicht, weil der
Bürger nicht nur, wie der Sklave, aus Furcht vor den üblen
Folgen des gegenteiligen Verhaltens, sondern schon wegen seines
eigenen Interesses an der Geltung des Rechts sich ihm gemäss
verhalten und der Vorforderung entsprechen wird. Tut er dies
aber nicht und ist ihm der andere nicht physisch überlegen, so
kommt in Betracht die Verstärkung der eigenen Kraft durch
fremde Hilfe, und vermöge des für jeden Bürger bestehenden
Interesses an der Geltung des Rechts ist als Regel zu erwarten,
dass der Mitbürger solche Hilfe nicht dem Vorgeforderten, son-
dern dem Sieger leiste.
Nach unserem Rechte ist der erwachsene Mensch in der
Regel nur noch Objekt staatlicher Gewalt. Bezeichnet man das
Recht als Staatswille, dem der einzelne sich fügen muss, so meint
man, dass seine Geltung eine staatliche ist im Sinne nicht nur
des sie fordernden Staatswillens, sondern auch der sie durchsetzen-
den Staatsmacht. Wie aber der Staatswille keine selbständige
Existenz hat neben dem Willen der am Staate beteiligten Menschen, !
aus dem er hervorgeht, so ist jede staatliche Macht eine Macht
solcher Menschen. Zu deren Ausübung nach Massgabe des
staatlichen Rechtes sind sie durch ihre staatliche Stellung nicht
nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, wenngleich für sie eine
über der ihrigen stehende die Erfüllung ihrer Pflicht erzwingende
oder das Gegenteil ahndende staatliche Macht nicht besteht.
Wäre der nach positivem Rechte bestehenden Pflicht die
Möglichkeit gegen ihr Subjekt platzgreifenden Rechtszwanges we-
sentlich, so wäre der jeder Verantwortlichkeit enthobene Monarch
überhaupt kein mögliches Subjekt einer solchen. Dasselbe würde