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in Betracht kommenden deutschen Verfassungen eine alljährliche Tagung
der Stände anordnet. Auch hat ja in diesem Punkte das Wohlfahrtsinter-
esse des Staates mit dem Machtinteresse der betreffenden deutschen Fürsten
auf das schönste harmoniert. Nicht die Existenz eines Notverordnungs-
rechtes scheint also einer historischen Erklärung zu bedürfen, sondern die
konkrete Gestalt, die es in jedem einzelnen Staate annimmt, und die Tat-
sache, dass manche Staaten kein ausdrücklich statuiertes Notverordnungs-
recht besitzen.
In dem zweiten Abschnitt der Schrift begegnen wir zunächst dem
interessanten Hinweis auf den Parallelismus zwischen den in Oesterreich
infolge der Obstruktion und den in Dänemark infolge des Verfassungs-
streites der achtziger Jahre aufgetauchten Rechtsfragen. Hier wie dort sind
die Verfassungsmässigkeit der erlassenen Notverordnungen, die Fortdauer
ihrer Geltung, die Grenzen des richterlichen Prüfungsrechtes und andere
Fragen lebhaft diskutiert worden. Sodann gibt der Verfasser eine dankens-
werte Zusammenstellung der verschiedenen Rechtsansichten, die in Betreff
der Gültigkeit resp. Annullierbarkeit der 76 in der Obstruktionsära er-
schienen Notverordnungen geäussert worden sind. Bekanntlich hat die
durch die Obstruktion herbeigeführte Lähmung der parlamentarischen Tätig-
keit dahin geführt, dass die von den verschiedenen Regierungen erlassenen
und rechtzeitig vorgelegten Notverordnungen nicht in Verhandlung ge-
nommen wurden; der Reichsrat hat dieselben weder ausdrücklich genehmigt
noch ausdrücklich abgelehnt. In den meisten Fällen würden nun dieselben
Verordnungen, über welche bis zum Ablauf der Legislaturperiode ein Be-
schluss nicht zustande gekommen war, der neugebildeten Volksvertretung
abermals vorgelegt. Erst im Jahre 1907 unterliess es die Regierung, die
noch unerledigten kaiserlichen Verordnungen dem neu einberufenen Reichs-
rate wieder vorzulegen. Die Einwendungen die nun der Verfasser gegen
die bisherigen von ihm in drei Gruppen geteilten Lehrmeinungen in Be-
treff des Fortbestandes dieser Verordnungen erhebt, scheinen mir vollkommen
begründet zu sein. Allein auch seine eigene Ansicht unterliegt gewichtigen
Bedenken. Diese Ansicht geht dahin, dass die nicht genehmigten Notver-
ordnungen ihre provisorische Gesetzeskraft solange behalten, bis sie ent-
weder vom Kaiser ausser Kraft gesetzt oder vom Reichsrat ausdrück-
lich abgelehnt werden. Die Kammern seien jederzeit befugt, einen
derartigen Beschluss zu fassen, mag die Vorlage der Verordnungen auch
unterlassen worden sein. Dies ergebe sich schon aus dem Recht der Ini-
tiative, welches alle modernen Konstitutionen der Volksvertretung ein-
räumen. Für das Prüfungsrecht hinsichtlich der Notverordnungen sei es
irrelevant, ob die Regierung durch die Unterlassung ihrer Vorlage eine
verfassungsmässige Pflicht verletzt hat oder nicht. Eine solche Verpflich-
tung sei nach dem Wortlaut des $ 14 des betreffenden Staatsgrundgesetzes
nur für die erstmalige Vorlage solcher Verordnungen ausdrücklich