Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 23 (23)

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de lege lata zieht L. nicht die vollen Konsequenzen seiner positivistischen 
Auffassung, Er macht den Internationalisten eine unnötige Konzession, 
wenn er sagt (S. 7): „Es mag zwar sein, dass auch ausserhalb des durch 
staatliche Abmachung geregelten Gebietes der eine oder der andere Satz 
des internationalen Privatrechts schon festen Bestand gewonnen hat. Viel- 
leicht besteht in der Tat eine Verpflichtung der einzelnen Staaten zur An- 
erkennung des „locus regit actum*“.“ Eine Verpflichtung völkerrechtlicher 
Natur? Sie ist grundsätzlich — auch vom Standpunkte L.s aus — abzu- 
lehnen und ist insbesondere abzulehnen inbezug auf den Satz locus regit 
actum. Das hat der Dorpater Professor Challandes in seinem bedeutsamen 
Aufsatz: „Ueber die Form der im Auslande errichteten Rechtsakte nach der 
russischen Gesetzgebung und Gerichtspraxis“ klar begründet. (Zeitschr. f. 
int. Privat und öffentl. Recht Band 14 S. 303 ff.) Völkerrecht und inter- 
nationales Privatrecht stehen nicht etwa im Verhältnis von Ursache und 
Wirkung. Beide sind vielmehr auf derselben Grundlage erwachsen. Die 
Kulturstaaten bilden eine Interessengemeinschaft d. h. eine Art genossen- 
schaftlicher Organisation mit Rechten und Pflichten. Die Quelle dieser 
Rechte und Pflichten bildet das Völkerrecht, d. h. die Summe der durch 
internationale Uebung als bindend anerkannten Verhaltensvorschriften. Eine 
Voraussetzung und Grundlage des Völkerrechts selbst bildet die gegensei- 
tige Anerkennung der Souveränität der verbundenen Staaten. Die Gesetz- 
gebungsgewalt, die Gesetze und die Einwirkung der Gesetze auf die Tat- 
bestände sind also ein Ausfluss der anerkannten Souveränität. Ist die Sou- 
veränität Voraussetzung der Völkerorganisation, so muss auch die Wirkung 
der einzelstaatlichen Gesetzgebung wenigstens insoweit von den Gliedern 
der völkerrechtlichen Gemeinschaft anerkannt werden, als die letzteren sich 
nicht grundsätzlich der Anwendung fremden Rechtes verschliessen dürfen. 
Aber eine Kollisionsnorm, die völkerrechtliche Bindung erzeugte, gibt es 
nicht. Dessen ist sich auch L. wohl bewusst. Darum weist er nachdrück- 
lich auf die aus der Verschiedenartigkeit der nationalen Kollisionsnormen 
entstehende Gefahr für die Rechtsharmonie hin und auf das völkerrecht- 
liche Heilmittel: die Staatsverträge. Die Hoffnung L.s, dass durch diese 
auf dem Gebiete des Entmündigungsrechts eine internationale Einheitlich- 
keit erzielt werde, hat sich erfreulicherweise seit dem Erscheinen seines 
Buches erfüllt: das Haager „Abkommen über die Entmündigung und gleich- 
artige Fürsorgemassregeln‘* ist in der letzten Session des Reichstages an- 
genommen worden und sieht seiner Ratifikation durch die Mehrzahl der 
europäischen Staaten entgegen. Durch dieses Abkommen haben wir zwar 
kein völkerrechtliches internationales Entmündigungsrecht, sondern nur 
völkerrechtlich garantiertes. Diese Unterscheidung ist keine müs- 
sige Begriffsspaltung, sondern sie ist notwendig zur Wahrung des Stand- 
punktes der Positivisten. Weil dieser Standpunkt konsequenter Durchfüh- 
rung bedarf, darum muss ich auch hervorheben, dass L. mehrfach nicht
	        
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