Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 23 (23)

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war das Buch von Adickes eine befreiende Tat, und alle Gegenschriften 
haben es nicht entwerten können, haben oft das tiefe politische Problem, 
das ihm zu Grunde liegt, gar nicht verstanden. In solcher Zeit bedeutet 
aber auch das Buch Mendelsohns-Bartholdys einen mächtigen Fortschritt in 
der Erfassung der Frage. 
M. bat es ängstlich vermieden zu Vorschlägen von Adickes Stellung zu 
nehmen. Er will ganz objektiv ein Bild vom jetzigen englischen Richter- 
tum zeichnen, wie es unmittelbar aus einer Fülle von Prozessberichten sich 
ergibt. Dass er dabei tatsächlich für sehr viele Behauptungen von Adickes 
Beweise geliefert hat, ändert an seiner ruhigen Parteilosigkeit nichts. Eben- 
sowenig gibt M., dem man in jeder Zeile den Geschichtskundigen, nicht 
nur den Rechtshistoriker, ansieht, eine geschichtliche Begründung. Nur ein- 
mal — da, wo er von der gegenwärtigen Schätzung des Rechtes in der 
öffentlichen Meinung spricht —,kommteer antithetisch auf die Einschätzung des 
englischen Gerichts in der Dickensperiode zu sprechen, vermeidet aber 
auch hier eine Untersuchung darüber, ob doch nicht schon damals unter 
dem starken Kritizismus, der ja zu andern Zeiterscheinungen (Chartismus, 
Einfluss Benthams und seiner Schule) passt, die stärkere Unterströmung 
auf den höchsten Respekt vor dem Richter hintrieb, und sich dann 
während der Regierung der Königin Viktoria allmählich volllständig durch- 
gesetzt hat: ein geschichtliches — vielfach ein literargeschichtliches — 
Problem, das in Deutschland M. selber wohl am besten schildern würde. 
Worauf esM. ankommt ist ein möglichst deutliches, lebendiges Bild von 
der gegenwärtigen Macht und Stellung des englischen Richters. Dabei 
übt er überall zarteste Empirie. Da ist nichts von jenem groben Denken, 
das meint nationale Eigenart in irgend ein abschliessendes Wort zu fassen. 
M. weiss gar wohl, dass der juristische Rationalismus, der auf dem Kon- 
tinent herrscht, auch in England keine unbekannte Krankheit ist; wie er 
in der Zeit Benthams verbreitet genug war, so gibt es auch jetzt in England 
viele Abergläubische, die ein gerechteres Urteil von der Vielheit der In- 
stanzen erhoffen (M. 8. 34) und das Axiom, das bisher in England und 
den guten Staaten Amerikas fest zu stehen schien, dass man trotz Bentham 
die Kodifikation als Merkmal einer minderwertigen Kultur ansah, ist 
Ja in der letzten Zeit wieder erheblich in das Wanken gekommen. Uns 
schon mehr fremd ist es und wird von Mendelsohn auch so geschildert 
(S. 12, S. 32); dass juristische Gesetze non party bills sind; wie setzt da 
unser mesquiner Parlamentarismus ein, um an rein technischen Gesetzen an- 
gebliche politische Schäden zu entdecken, und technische Reformen zu 
Ehren einer demokratischen, oder liberalen, konservativen oder klerikalen Par- 
teipolitik zu hindern! WasM. aber als die eigentliche englische Besonderheit 
zeichnet, ist der Richter, der nach jeder Richtung Herr über den Rechtsstoff 
ist. Was einmal Justice Borgrave Deane sagt (S. 76): surely a judge of 
the High Court has power to restrain anything if he thinks it right and ex-
	        
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