— 5350 ° —
der Individuation beharrenden gleichen menschlichen Beschaffen-
heit, er realisiert die Summe der aus dieser Wurzel stammen-
den, den Postulaten der Individuation entgegen wirkenden Antriebe.
Staat und Recht sind daher schon als die Verwirklichungsform
der zweifachen in denselben Subjekten nebeneinander bestehen-
den Grundantriebe und insofern als unmittelbarer Ausdruck der
elementaren menschlichen Beschaffenheit, in weiterer Folge aber
speziell auch wegen des nach dieser Auffassung sowohl der Rechts-
wie der Staatsidee naturgemäss inhärierenden Verwirklichungs-
postulates, einander ergänzende, durchaus korrelate Begriffe:
kein Recht ohne den seine Verwirklichung, das ist den Rechts-
schutz verbürgenden Staat, kein Staat ohne das den geordneten
Zusammenhang der staatlich vereinten Individualexistenzen herstel-
lende Recht“.
Die Art und Weise, wie sich ein Volk zu diesen beiden
Grundprinzipien verhält, wie es sie in der staatlichen Organisa-
tion zur Geltung bringt, bedingt nach LEMAYER den Grund-
charakter dieser Organisation. So kommt er zu der heteroge-
nen Auffassung der antiken, hauptsächlich römischen, der mittel-
alterlichen, insbesondere germanischen, und endlich der modernen
neuzeitlichen Staatsorganisation. Im Altertum herrscht das Prin-
zip der Gesamtheit, Vielheit, unbedingt. Ihm fehlt „die An-
erkennung der Individuation als eines mit der Gesamtheit gleich-
berechtigten Selbstzweckes in der Ordnung des Daseins“?. Der
germanische Staat des Mittelalters beruht im strikten Gegen-
satz zum antiken auf der vollen Entfaltung des Individuations-
prinzipes. Er entspricht dem germanischen Individualismus und
fand, wie LEMAYER bemerkt, „seine tiefste Begründung in der
christlichen Lehre, welcher jeder Träger menschlicher Gestalt als
2 Dieser Auffassung widerspricht bekanntlich JELLINEK, indem er das
individualistische Prinzip im antiken Staate als von der Staatsgewalt voll-
ständig unberührt, wenn auch ohne rechtlichen Charakter, gelten lässt.
(Recht des modernen Staates, S. 264.)