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die seinigen mit dem berühmten Lehrsatz. Man muss also
bei dem jetzigen Stande der juristischen Wissenschaft entweder
annehmen, dass sie noch derart in den Kinderschuhen stecke,
dass von ihr die klaglose Lösung prinzipieller Fragen nicht
verlangt werden kann, oder aber, wie schon angedeutet wurde,
dass eine solche Lösung überhaupt nicht zu erwarten steht.
Ich muss gestehen, dass mir die letztere Alter-
native unbedingt wahrscheinlicher vorkommt.
Aus der eben angeführten pessimistischen Ansicht könnten
vielleicht auf den Wert unserer Wissenschaft überhaupt, sowie
auf die Güter ihrer Vertreter nachteilige Schlüsse gezogen wer-
den, wogegen ich mich daher ausdrücklich zu verwahren schuldig
bin. Weder das Erste — was ja bekanntlich tatsächlich bereits
in der Literatur vertreten wurde (KIRCHMANN) — noch das
andere trifft zu. Es wäre unsinnig, von der Jurisprudenz Lehr-
sätze von mathematischer Sicherheit zu verlangen. Forschungs-
ergebnisse disparater Wissenschaften, wie es die Geistes- und
Naturwissenschaften sind, sind, was ihren Wert anlangt, schlechter-
dings unvergleichbar. Die Frage, ob die Feststellung der Ent-
fernung zweier Planeten von einander mehr wissenschaftlichen
Wert besitze als die Erforschung der integrierenden Merkmale
des Staatsbegriffs, lässt sich nicht beantworten, da die Ergeb-
nisse beider Arten von Forschung eben inkommensurable wissen-
schaftliche Werte darstellen. Worin liegt es also, dass jeden,
der sich mit der juristischen Literatur — ich nehme hier diesen
Begriff in seiner weitesten Fassung d. h. die Jurisprudenz mit
allen ihren wissenschaftlichen Grenzgebieten, hauptsächlich also
der Nationalökonomie und Soziologie — beschäftigt hat, ein
gewisses dunkles Gefühl ihrer wissenschaftlichen Minderwertig-
keit im Vergleiche zu den exakten und Naturwissenschaften
überkommt? Dies kann zweifellos nur in der von ihren Ver-
tretern angewendeten Methode liegen.
Ich habe soeben kurz vorher von der „Erforschung