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der integrierenden Merkmale des Staatsbegriffs* gesprochen;
ohne Zweifel bin ich damit der üblichen Ausdrucksweise un-
serer juristischen Schriftsteller gefolgt. Man „erforscht“ in der
Literatur ununterbrochen das Wesen des Staates, man „unter-
sucht“ das Wesen der subjektiv-öffentlichen Rechte und man
„beweist“ schliesslich die Staatsnatur irgend eines Gemein-
wesens,. Schon die unter Anführungszeichen gestellten Worte
fordern zur Analogie mit der Tätigkeit der Naturwissenschaften
heraus: Ebenso wie der Rechtsgelehrte das juristische Wesen
des Staates „erforscht“, erforscht etwa einGeologe ein bisher unbe-
kanntes Flussgebiet auf seine geologische Struktur. Der Me-
dizner untersucht ebenso das Wesen eines Bazillus wie der
Rechtsgelehrte etwa die Natur der subjektiv-öffentlichen Rechte.
Der Mathematiker endlich beweist die Richtigkeit des py-
thagoräischen Lehrsatzes, ebenso wie der Jurist die staatliche
Natur der im österreichischen Reichsrate vertretenen Königreiche
und Länder. Geologe und Rechtsgelehrter können irren. Es
kann ein anderer Geologe kommen und auf die Unrichtigkeit
der erforschten Ergebnisse des ersten hinweisen. Einer jedoch
behält hier unbedingt recht. Anders allerdings beim Rechts-
gelehrten ; dieser muss voraussetzen, ja kann fast sicher sein,
dass seine Forschungsergebnisse nicht unangefochten bleiben.
Die hier zu Tage tretende Analogie in der Methode beider
Arten von Wissenschaften ist keine unbewusst hervorgerufene;
man hat vielmehr ganz bewusst die naturwissenschaftliche Me-
thode auch für das Gebiet der sozialen Wissenschaften ge-
fordert. Eine ganze Reihe von namhaften Rechtsgelehrten und
Sozialpolitikern hat dieses Postulat klar ausgesprochen. Es sei
hier nur Max SEYDEL angeführt, der schon in seinem Werke
„Grundzüge der allgemeinen Staatslehre“ die Behauptung auf-
stellt, dass die Rechtswissenschaft nur dann jene Höhe erreichen
werde, wie sie die Naturwissenschaften erreicht haben, wenn
sie deren Methode rezipiere. Ebenso ist der Sozialpolitiker