Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 23 (23)

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erscheinen mag. Scheinbar habe ich tatsächlich zwei Objekte ' 
vor mir, die ich auf gleiche Weise der wissenschaftlichen Er- 
kenntnis erschliessen möchte. Trotzdem ist hier ein ungeheurer 
Unterschied vorhanden, dem man vielleicht am besten durch 
Hinweis auf das Wesen der wissenschaftlichen Hypo- 
these nähertreten kann. 
Eine grosse Anzahl, ja vielleicht die Mehrzahl natur- 
wissenschaftlicher Lehrsätze beruht derzeit auf der Hypo- 
these; das heisst, man kann ihre Richtigkeit zwar mit grösserer 
oder geringerer Wahrscheinlichkeit darlegen, man kann sie aber 
noch nicht strikte beweisen. (Ich erinnere z. B. nur an die 
Darwin-Weismannsche und ähnliche Hypothesen). Nun behaupte 
ich, dass es ein Wiedersinn ist, wenn man, wie es allerdings 
häufig tatsächlich geschieht, von Hypothesen in der Rechtswissen- 
schaft spricht. Es ist unmöglich, etwa eine Hypothese von 
der juristischen Wesenheit des Staates, der Souveränität, der 
öffentlich-rechtlichen Genossenschaft u. s. w. aufzustellen. Man 
könnte ebenso — ich spreche hier de lege ferenda — von 
Hypothesen über das begriffliche Wesen des Diebstahls, des 
Raubmordes oder des Betruges reden. Gerade das hypothetische 
Stadium, in dem sich eine bestimmte wissenschaftliche Frage be- 
findet, ist aber nun das einzige, in dem allein ein Streit wissen- 
schaftlicher Meinungen berechtigt ist. Denn solange die Be- 
weiskette, welche ein wissenschaftliches Problem zur unumstöss- 
lichen wissenschaftlichen Wahrheit erhebt, nicht lückenlos 
geschlossen ist, steht es jedermann frei, neues Beweismaterial, 
welches gegebenenfalls mit dem schon vorhandenen logisch nicht 
übereinstimmen muss, herbeizuschaffen; stimmt es tatsächlich 
nicht überein, dann entsteht eben ein Widerstreit zweier oder 
mehrerer Hypothesen, d. h. ein wissenschaftlicher Streit 
der Gelehrten untereinander. Ich kann hier, um die Sache 
klarer zu machen, auf eine, der Rechtswissenschaft in dieser 
Beziehung ähnliche, trotzdem aber diametral entgegengesetzte
	        
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