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erscheinen mag. Scheinbar habe ich tatsächlich zwei Objekte '
vor mir, die ich auf gleiche Weise der wissenschaftlichen Er-
kenntnis erschliessen möchte. Trotzdem ist hier ein ungeheurer
Unterschied vorhanden, dem man vielleicht am besten durch
Hinweis auf das Wesen der wissenschaftlichen Hypo-
these nähertreten kann.
Eine grosse Anzahl, ja vielleicht die Mehrzahl natur-
wissenschaftlicher Lehrsätze beruht derzeit auf der Hypo-
these; das heisst, man kann ihre Richtigkeit zwar mit grösserer
oder geringerer Wahrscheinlichkeit darlegen, man kann sie aber
noch nicht strikte beweisen. (Ich erinnere z. B. nur an die
Darwin-Weismannsche und ähnliche Hypothesen). Nun behaupte
ich, dass es ein Wiedersinn ist, wenn man, wie es allerdings
häufig tatsächlich geschieht, von Hypothesen in der Rechtswissen-
schaft spricht. Es ist unmöglich, etwa eine Hypothese von
der juristischen Wesenheit des Staates, der Souveränität, der
öffentlich-rechtlichen Genossenschaft u. s. w. aufzustellen. Man
könnte ebenso — ich spreche hier de lege ferenda — von
Hypothesen über das begriffliche Wesen des Diebstahls, des
Raubmordes oder des Betruges reden. Gerade das hypothetische
Stadium, in dem sich eine bestimmte wissenschaftliche Frage be-
findet, ist aber nun das einzige, in dem allein ein Streit wissen-
schaftlicher Meinungen berechtigt ist. Denn solange die Be-
weiskette, welche ein wissenschaftliches Problem zur unumstöss-
lichen wissenschaftlichen Wahrheit erhebt, nicht lückenlos
geschlossen ist, steht es jedermann frei, neues Beweismaterial,
welches gegebenenfalls mit dem schon vorhandenen logisch nicht
übereinstimmen muss, herbeizuschaffen; stimmt es tatsächlich
nicht überein, dann entsteht eben ein Widerstreit zweier oder
mehrerer Hypothesen, d. h. ein wissenschaftlicher Streit
der Gelehrten untereinander. Ich kann hier, um die Sache
klarer zu machen, auf eine, der Rechtswissenschaft in dieser
Beziehung ähnliche, trotzdem aber diametral entgegengesetzte