Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 23 (23)

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oder im Experimentiersaale haben. Diese Methode haben die 
Naturwissenschaften im letzten Jahrhundert mit grossem Erfolge 
angewendet und die Geisteswissenschaften betrachten mit unver- 
hohlenem Neide die von ihren Schwesterndisziplinen erklommene 
Höhe. Die letzteren haben allen allgemeinen, konstruktiven 
Kram als überflüssig beiseite gelassen, sie haben die Metaphysik, 
die als wichtiger Teil der Philosophie in früheren Zeiten einen 
Annex naturwissenschaftlicher Forschung bildete, fast gänzlich 
und mit vollem Recht ausgeschaltet. Kein Mensch kümmert 
sich heute darum, ob die Welt „Wille und Vorstellung‘, eines 
oder keines von beiden sei, sondern man beschränkt sich bei 
seiner Forschung auf beweisbare, leichter fassliche Dinge. 
Mit einem Worte: Die Methode der modernen Naturwissen- 
schaft wurde exakt. 
Kein Wunder also, dass die Geisteswissenschaften, darunter 
die uns hier interessierende Jurisprudenz, angesichts der grossen, 
mit der „exakten“ Methode erreichten Erfolge ernstlich daran 
gingen, dieselbe auch für ihr Forschungsgebiet anzuwenden. 
Ueberdies entging man damit dem gefürchteten Vorwurf der 
„Unwissenschaftlichkeit*. Dieser Vorwurf wird begreiflicher- 
weise am ehesten dem sozusagen frei aus sich selbst heraus 
konstruierenden Denker gegenüber gemacht, und nichts fürchtet 
der Gelehrte so sehr, als für einen Schöngeist oder gar einen 
Künstler gehalten zu werden ®. 
Nun ist aber, wenn man das eigentliche Wesen der ab- 
strakten Jurisprudenz, insoweit sie sich nicht auf blosse Inter- 
  
6 Mit dem Bestreben nach echter Wissenschaftlichkeit verbindet sich 
die Sorge um einen, der trockenen Induktion oder Analyse entsprechenden 
trockenen Stil. Alles, was nur irgendwie an feuilletonistische Manier er- 
innern könnte, wird ängstlich gemieden, so dass die Wissenschaftlichkeit 
gewöhnlich gleichen Schritt mit der Lesbarkeit eines Werkes hält. Da es 
schwer angeht, den irreger irgend einer Krankheit mit stilistischem Schwung 
und schöpferischer Kraft literarisch zu behandeln, glaubt man auch in der 
Jurisprudenz denselben Ton anschlagen zu müssen. 
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