— 554 —
ist, wie der andere“ ?,
War man also einmal so weit, dass man die physische
Einzelperson, was ihre Realität anlangt, jedem beliebigen „so-
zialen Organismus“ gleichstellt, so ergab sich dadurch für die
Jurisprudenz sofort die Möglichkeit, dieser Unzahl von realen
Untersuchungsobjekten — ähnlich wie es die Naturwissenschaften
mit den physischen Einzelnwesen tun — auf induktivem Wege
zu erforschen. Sie wurde dadurch eine Art sozialer Natur-
geschichte.
Man kann beim besten Willen nicht behaupten, dass dadurch
der abstrakten begrifflichen Jurisprudenz besonders gedient wor-
den wäre. Als einen unbedingten Nachteil muss man es z. B.
bezeichnen, dass damit die definitive Entfremdung zweier Wissens-
gebiete, deren Zusammenhang so innig ist, dass er enger nicht
gedacht werden kann: des privaten und öffentlichen Rechts ge-
radezu als methodologisches Postulat angesehen wurde. Die orga-
nische Theorie (allerdings nicht sie allein!) unternahm es, den
Dualismus im Recht, der früher nur ganz unschädlich — und
zwar hauptsächlich als Zweiteilung objektivrechtlicher Normen —
zum Ausdruck kam, bis zu den letzten Konsequenzen durch-
zuführen. Sie war es vor allem, die auf dem ihr eigenen, so-
genannten öffentlich-rechtlichen Gebiete — unbekümmert um
die bestehenden privatrechtlichen Systeme — eine ganze Reihe
von grundlegenden Begriffen konstruierte. So entstand vor
® „Ueber Organpersönlichkeit, Eine begrifiskritische Studie‘, in
SCHMOLLERs Handbuch, 1902. Mit dem zitierten Satz mag übrigens PREUSS
recht haben. Nur ist zu bemerken, dass sich die exakten Naturwissen-
schaften mit dem Begriffe „Organismus“ nicht viel abgeben. Sie bezeichnen
damit, obne ihn genauer zu definieren, die einzelnen Lebewesen als solche.
So bezeichnet man gelegentlich die einzelne lebende Zelle, dann wieder den
einzelnen lebenden Menschen als Organismus. Diese Dinge leben und exi-
stieren aber nicht, weil sie „Organismen“, sondern weil sie eben Menschen,
Tiere, Zellen u. s. w. sind. Unter die Sammelposition „Organismus“ kann
man alles Mögliche bringen, sie bleibt daher sowohl für Natur- als Geistes-
wissenschaften ein ziemlich obskurer Begriff.