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methodologische Berechtigung; vollends unberechtigt erscheint
sie mir aber gegenüber einem Staate, dessen Machtbereich
man sich schlimmstenfalls durch eine mehrstündige Bahnfahrt
auf immer entziehen kann. (Vorausgesetzt allerdings, dass man
kein gemeiner Verbrecher ist; aber auch ein diebischer Kassier
entzieht sich durch den Austritt aus dem Verein dessen „Macht-
bereich“ nicht: er wird als gewesener Kassier belangt, ab-
gestraft und eingesperrt)’.
Die Gewalttheorie verkennt die so zutreffende JELLINEKsche
Idee von der „Selbstbindung“ des Staates gegenüber seinen
15 Als Schulbeispiel ist hier die OÖ. MAayeErsche Konstruktion des öffent-
lichen Vertrages anzuführen („Zur Lehre vom öÖffentlichrechtlichen Ver-
trage*, Arch. f. öff. Recht, 1888). Mayer sagt: „Die Rechte und Pflichten
des entsprechenden zivilrechtlichen Vertrages werde mit obrigkeit-
licher Macht gehandhabt durch die Behörde, welche die eine Vertrags-
partei vertritt, teilweise unter den schätzenden Formen der Rechtspflege,
teilweise nicht“. Und weiter: „Man darf hier (sc. beim öffentlichrecht!.
Dienstvertrage) nicht von einem Gewaltverhältnis sprechen, welches über-
dies Öffentlichrechtlich behandelt wurde, sondern das Oeffentlichrechtliche
ist es eben, was das Dienstverhältnis zu einem Gewaltverhältnis macht“
(S. 57). Es ist ziemlich schwer, die Zweckmässigkeit dieser Theorie ein-
zusehen. Mir wenigstens erscheint es unzweckmässig, den feststehenden
Begriff des „Rechtsverhältnisses“ derart zu gestalten, dass seine hervor-
ragendste Eigenschaft, die darin besteht, dass es eben das kontradiktori-
sche Gegenteil eines Gewalt- oder Machtverhältnisses ist, verwischt wird.
Denn solange beide Kontrahenten streng auf dem Boden des Rechts stehen,
bleibt der Begriff des „Gewaltverhältnisses“ ziemlich unklar. Was heisst
es, wenn ich mit „obrigkeitlicher Macht“ die Rechte und Pflichten meines
Kontrahenten „handhabe‘“, falls ich gleichzeitig berechtigt bin, sie zu
handhaben ? Ich kann da doch nur das verlangen, wozu ich berechtigt
bin und wozu mein Kontrahent verpflichtet ist, was ja so ziemlich
bei jedem Vertrage der Fall ist. Ganz ebenso wie der Rechts staat seinen
Angestellten gegenüber, „handhabt“ jeder Haushaltungsvorstand seinen
Dienstboten gegenüber ihre Rechte und Pflichten. — Ich erinnere hier au
die schöne LABAnpsche Charakteristik des Rechtsstaates, wonach dieser
von seinen Untergebenen nichts verlangt, ihnen nichts befiehlt oder ver-
bietet, es sei denn auf Grund eines Rechtssatzes. Verlangen, befehlen und ver-
bieten auf Grund eines Rechtssatzes kann aber gegebenenfalls auch der Pri-
vatmann.