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eines besonderen Geschäftsordnungsgesetzes jene Bestimmungen dem neuen
Zustande nur wenig angepasst.
Bei diesen Stande der Dinge ist der Versuch KULISCHs, in diese unge-
ordnete Fülle von Bestimmungen, deren Revision schon vom Standpunkte
„juristischer Reinlichkeit“ erforderlich wäre, mit ordnender Hand einzu-
greifen, sehr willkommen. Ausgehend von dem Gegensatze des Parlamentes
als eines kollegialischen Organs und somit Trägers fremder Zwecke einerseits
und der Korporation andererseits, erörtert die Abhandlung zunächst die Be-
ziehungen der Parlamente zu anderen staatlichen Organen, wobei Verfasser
mit Recht die wiederholt ausgesprochene Anschauung bekämpft, welche
in den beiden parlamentarischen Kammern ein einziges zusammenwirkendes
Organ erblickt. Da diese parlamentarischen Kammern einerseits zu ihren
Mitgliedern, andererseits zu ausserhalb derselben stehenden
Rechtssubjekten in Beziehung treten, ergibt sich eine zweifache
Rechtsordnung für die Erledigung der parlamentarischen Geschäfte, welche
die Geschäftsordnung der parlamentarischen Kammern bildet. Diese Defi-
nition der Geschäftsordnung ist wohl zu weit gefasst: es würde darunter
die gesamte Tätigkeit der Kammern nach aussen und innen fallen. Die-
selbe geht sowohl über die von der Wissenschaft aufgestellte Begriffsbe-
stimmung (LABAND: Geschäftsgang und Disziplin) als auch über die in der
österreichischen Verfassung gezogene Schranke ($ 24 St.Gr.Ges.: nähere
Bestimmungen über den wechselseitigen und Aussenverkehr beider Häuser)
weit hinaus. Es geht doch nicht an, mit dem Autor gewisse grundlegende
Bestimmungen der Verfassung, als Notverordnung, Wahlprüfung und Wahl-
anfechtung, Verfassungsänderung etc. wegen der denselben eigentümlichen
Formen parlamentarischer Behandlung unter dem Gesichtspunkte der „Ge-
schäftsordnung“ zu regeln. Gerade für das österreichische Verfassungsrecht
wäre eine genauere, vorzüglich die technische Seite der parlamen-
tarischen Tätigkeit hervorhebende Begriffsbestimmung der Geschäftsordnung
von Nutzen gewesen, um der Gesetzgebung die richtigen Wege zu weisen.
Durch die übrigens sehr gelungene Darstellung der Entstehungsgeschichte
der geltenden Geschäftsordnung sowie durch seine Erörterungen über die
Kompetenz zur Erlassung von Geschäftsordnungsnormen zeigt Verfassser
selbst, wie sehr eine genaue Abgrenzung der durch die Geschäftsordnung
zu regelnden Materie nottut. Durch eine solche würde auch der Gefahr
der Ueberschreitung der Grenzen für die den Kammern zur Selbstregelung
überlassenen Geschäftsordnungsfragen, für welche Verfasser interessante
Beispiele anführt, wirksamer begegnet werden.
Wenn auch im Rahmen einer kurzen, nur die formale Seite des Ge-
schäftsordnungsrechtes erörternden Abhandlung das wichtige Problem nur
gestreift werden konnte, bleibt es dennoch ein Verdienst KuLIScHs, das
schwierige und bisher für das österreichische Recht so gut wie gar nicht
behandelte Thema theoretisch angefasst und auf die Fülle von juristisch