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der damals noch auf seiner Höhe stehende Weltkrieg wetterleuchtet.
Ach, diese Stimmung ist uns ja allen nicht unbekannt, haben wir sie nicht
selbst geteilt, so haben wir sie doch aus nächster Nähe beobachtet. Und
eine Darstellung des Völkerrechts gibt ja reichliche Gelegenheit, sie zu
äußern. Gar manches scharfe Wort weiß der Verfasser anzubringen gegen
englische Tücke und Tyrannei. Und diese Begeisterung für den unbe-
schränkten Unterseebootkrieg, dessen völkerrechtliche Zulässigkeit anzu-
zweifeln eine „Wilsonsche Lächerlichkeit“ ist! Die Seesperre wirkt ein-
fach „durch das Symplegadenwesen®; es wird „eine Waberlohe um das
Gebiet gelegt“ (S. 90, 91). Und die Begeisterung für die Einverleibung
Belgiens, die im wesentlichen bereits erfolgt ist durch die kriegerische Be-
setzung mit organisierter Verwaltung des Eroberers: „das Gelände ist das
seinige, allerdings unter der auflösenden Bedingung, daß der Friedensver-
trag die Sache anders regelt“; und „das ganze Staatsgut ist sein Staatsgut,
natürlich ebenfalls mit der entsprechenden auflösenden Bedingung‘ (8.56).
„Das Recht der Eroberung beruht auf dem Naturrecht.* Das sogenannte
„Selbstbestimmungsrecht der Nationen“ darf man nicht anrufen wollen:
„dies ist wider die Natur der Sache ... Will sich die Bevölkerung nicht
fügen, so soll sie eben das Gebiet verlassen“ (S. 96, 97). So sah das Natur-
recht des Verfassers im März 1918 aus. Und in dieser Neigung sich anzu-
passen an die Wünsche dessen, der es lehrt, liegen ja wohl auch die
Schwächen des Naturrechts überhaupt. —
Das vierte Buch: „Staat und Staatsangehörigkeit“ behandelt vor allem
das Fremdenrecht, das ja wohl eher ein Stück der vergleichenden Rechts-
wissenschaft ist als des Völkerrechts, immerhin aber auch Zusammenhänge
mit diesem aufweist.
Dann folgen noch drei Bücher mit den markigen Ueberschriften :
„Rechtsverkehr“, „Unrechtsverkehr“, „Jenseits von Recht und Unrecht.
Kriegsverkehr‘. —
Man wird dieses Werk ohne Mühe durchlesen und viel Anregung darin
finden. Man wird aber auch begreiflich finden, daß es mir ein großes Ver-
gnügen bereitet haben würde, mich hier über allerlei Ansichten und Aus-
drucksweisen recht rückhaltslos auszusprechen. Allein ich erinnerte mich,
welchen Eindruck seinerzeit jene bösen Nachrufe gemacht haben, die
jeweils den kurz vorher,.verstorbenen Jhering, Windscheid und Laband
gewidmet worden waren, und meinte, man solle dergleichen nicht tun,
auch wo es sachlich berechtigter wäre. O0.M.
Erieh Franz, Politik und Moral, Ueber die Grundlagen politischer
Ethik. Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht 1917.
Die Schrift ist in der Hauptsache eine temperamentvolle Auseinander-
setzung mit dem gleichnamigen Buche OTro BAUMGARTENS. Dieser hatte
die Lösung des Problems in einem Dualismus zwischen individueller