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Nun weiß allerdings auch der positive Jurist, daß sich nicht
alles Geschehen im vorhinein durch logische Begriffskonstruktionen
meistern läßt und er rettet die Vollkommenheit seines Systems durch
den Hinweis auf das „Ermessen“ des Richters oder Verwaltungsbeam-
ten. Er verknüpft die Akte des Ermessens durch den Begriff der
Organkompetenz, gegebenenfalls auch durch die Begriffe der mate-
riellen Rechtskraft und der obrigkeitlichen Befehls- und Zwangs-
gewalt mit dem „Willen des Gesetzgebers“, dem „Staat“ oder wie
er sonst die als Einheit gedachte Summe der verbindlichen Normen
nennt. Aber was innerhalb der Ermessensphäre geschieht, ist
„quaestio facti“, ist „juristisch“, das heißt für den positiven Juristen,
ohne Interesse. Im übrigen blickt er auf abweichende Ansich-
ten anderer herab, wie der Mathematiker auf eine unrichtige For-
mel. Im Sinne dieser Auffassung kann es für jeden Rechtsfall,
abgesehen von jenem Ermessensspielraum mit seiner quaestio facti,
nur eine Lösung geben. Die „Wissenschaft“ der Rechtsdogmatik
kann im Geiste dieser Anschauung nur die Aufgabe haben, diese
einzig richtige Lösung mit mathematischer Präzision und Schärfe
zu ermitteln und zu beweisen. Dies ist der Zweck juristischer Mono-
graphien, Kommentare und Systeme. Demgemäß gelten diese
Werke nur so weit als „wissenschaftlich“, als sie sich auf Gesetz
und Logik beschränken, während die Verwertung subjektiver Wert-
urteile, des Rechtsgefühls oder irgendwelcher politischer Wünsche
de lege ferenda als nicht zur „Wissenschaft“ gehörig abgelehnt
wird.
Dies ist, trotz freirechtlerischer Kritik, im wesentlichen die
herrschende Anschauung unseres Juristenstandes. Sie ist grund-
legend für unser ganzes Staats-, Rechts- und Wirtschaftsleben.
Denn auf ihr beruht der Glaube an die Allmacht des Gesetzgebers,
der sich in der unübersehbaren und manchmal so_stikmperhaften
Gesetzesfabrikation unserer Parlamente auswirkt und der in.der
Selbstherrlichkeit, Wortbrüchigkeit und Unaufrichtigkeit der Frie-
densverträge von 1919/20 wobl kaum mehr zu überbietende