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Blüten gezeitigt hat. Voraussetzung all der ungeheuren Mengen
von Regeln ist der Kadavergehorsam der Juristen, die dem Gesetz
nichts hinzutun als die eigene — für, alle Menschen gleiche —
Logik und die daher jeden Befehl, auch den verächtlichsten oder
unsinnigsten, mit mathematischer Genauigkeit erfassen und aus-
führen werden. Die Wissenschaft aber, die ein solches präzises
Funktionieren der Juristenmaschinerie ermöglicht, ist eben die
„positive*, die „dogmatische“, die „objektive“ Rechtswissenschaft.
Die geschilderte, unser ganzes Rechts-, Staats- und Wirt-
schaftsleben beherrschende Auffassung von der Objektivität der
dogmatischen Jurisprudenz beruht auf zwei Voraussetzungen.
Erstens, daß die Wissenschaft vom Inhalt des rechtlichen Sollens
im wesentlichen deduktiv arbeite, zweitens, daß sie aus allgemein-
gültigen Prämissen, nämlich dem für alle Menschen gleichen ge-
gebenen Gesetzestext deduziere. Wenn beide Voraussetzungen zu-
treffen, so steht in der Tat die rechtsdogmatische Deduktion der
mathematischen in bezug auf „Allgemeingültigkeit“, auf „Ob-
jektivität“, gleich. Ein Unterschied zwischen der Mathematik und
der dogmatischen Jurisprudenz ergäbe sich dann, abgesehen von
dem Anwendungsgebiet der Induktion in der Mathematik, nur in
der zeitlich und örtlich bedingten Geltung der der Rechtsdog-
matik zugrundegelegten positiven Rechtsgesetze und in dem bereits
erwähnten Ermessensspielraum.
Diese Aehnlichkeit zwischen der Mathematik und der dogma-
tischen Rechtswissenschaft im Sinne des modernen Positivismus
muß sich wohl jedem aufdrängen, der die eben dargestellte An-
sicht teilt, nach weleher die Wissenschaft vom Inhalt des rechtlichen
'Sollens ihre Gedankengebäude nur aus Gesetz und Logik errichtet.
COHEN hat sich vielleicht durch diese Aehnlichkeit veranlaßt gesehen,
in seiner „Ethik des reinen Willens* auf der Suche nach einem „Fak-
tum der Wissenschaften zwischen der Rechtswissenschaft als der
„Mathematik der Geisteswissenschaften“ und der Mathematik eine
Parallele zu ziehen, „freilich“, wie er ausdrücklich betont, „nur
als Analogie, nicht als Gleichheit“ (3. Aufl. S. 67).