Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 43 (43)

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„Wille“ reale psychische Vorgänge eines zu den Einzelindividuen 
hinzutretenden Gesamtindividuums. Eintweder waren diese Worte 
Kollektivbezeichnungen für eine Summe von individuellen psychi- 
schen Vorgängen : dann konnten sie nichts erklären. Denn, wie 
schon einmal bemerkt, daraus, daß irgend einmal, oder noch so 
oft, irgend etwas geschehen ist oder für Recht gehalten worden 
ist, kann nicht logisch abgeleitet werden, daß ich jetztverpflichtet 
bin, dies oder jenes zu tun. Derartige Versuche, Rechtspflichten 
kausal, historisch oder psychologisch, zu begründen, können daher 
hier als methodisch unzureichend gänzlich außer Betracht bleiben. 
Oder aber, man verstand und versteht unter „Geist“ oder „Wille“ 
des Volkes, des Gesetzgebers, des Staates usw., unter „Emanation“, 
unter „Zurechnung“ und dgl. eben jenes Problem, jenes unbe- 
kannte X, welches die Zusammenfassung zur Einheit begründet, und 
welches ich den Verknüpfungsgrund der synthetischen Urteile zu 
nennen versucht habe. Dann hat man, auf dem Boden der herr- 
schenden Anschauungen unserer positivistischen Jurisprudenz, mit dem 
Wort „Gesetzgeber“, „Staat“, „Kirche“, „ Völkerrechtsgemeinschaft“ 
nur eine Bezeichnung, einen Namen für jenes X gefunden, aber keine 
Lösung, kein Verfahren, welches die Auffindung einer eindeutigen, 
evidenten, „objektiven“ Beantwortung jeder Frage des positiven 
Rechtes gewährleistet. 
Die Unmöglichkeit, eindeutige evidente Lösungen zu finden, 
kann aus der Erfahrung ganz unanfechtbar festgestellt werden und 
in diesem einen Punkte ist die Kritik der Freirechtler, mag sie 
sonst zum Teil noch so weit über das Ziel schießen, offenbar be- 
gründet: täglich sehen wir, wie verschiedene Instanzen oder Be- 
hörden unter Einsetzung all ihrer Autorität und oft mit eingehender 
logisch korrekter Begründung denselben Fall verschieden beurteilen, 
täglich sehen wir, wie selbst unter den ersten Theoretikern der 
Satz gilt: quot capita tot sententiae.e Wenn dies nicht in einer 
fehlerhaften Problemstellung der Wissenschaft, sondern in Unvoll- 
kommenheiten der jeweils entscheidenden oder theoretisierenden
	        
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