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Diese Ueberlegungen müssen auch der oben erwähnten Lehre
COHENs entgegengehalten werden. COHEN faßt die Einheit des
Rechts als die , Einheit der staatlichen Sittlichkeit* auf (Ethik des
reinen Willens, 3. Aufl., S. 82). Aber wenn die Rechtswissenschaft
als „Faktum der Wissenschaft* die Rolle spielen soll wie bei
KANT die Mathematik, der „Stolz der menschlichen Vernunft“, so
bleibt ihr nichts übrig, als sich auf logische Studien über das
Verfahren der Rechtswissenschaft zurückzuziehen und auf mate-
rielle Aussagen über das Recht und die staatliche Sittlichkeit zu
verzichten. Dann aber ist das von COHEN gefun-
dene „Faktum der Rechtswissenschaft“ nicht
Rechtswissenschaft, sondern Logik.
Dagegen von der dogmatischen Rechtswissenschaft als Wissen-
schaft vom Inhalt des rechtlichen Sollens muß meines Erachtens
nicht gefragt werden, wie sie im Sinne KANTs möglich ist, son-
dern ob sie möglich ist. Dieses Problem zu behandeln muß ich
einer späteren Arbeit vorbehalten.
Ob der CoHENschen Parallele zwischen der Mathematik und
der Rechtswissenschaft im Gebäude seiner Gesamtlehre noch eine
andere Bedeutung zukommt, ist hier nicht zu erörtern.
Wir sind genötigt gewesen, bei der juristischen Fachgruppe
etwas länger zu verweilen, da hier die deduktive Methode den
Schein der Allgemeingültigkeit der Ergebnisse erweckt und nament-
lich die juristische Praxis im großen und ganzen steif und fest
an die Objektivität der Rechtsdogmatik glaubt. Weit kürzer kön-
nen wir uns bezüglich der beiden anderen Gruppen, der sozial-
theoretischen und der politischen, fassen.
Das Grundproblem der kausalen Staatslehre („Soziallehre des
Staates“) lautes meines Erachtens: Wie werden Menschen be-
herrscht? Aehnlich stellt sich die allgemeine Volkswirtschafts-
lehre oder die theoretische Nationalökonomie die Frage: Wie wird
der Güterbedarf der Menschen gedeckt? Dabei ergibt sich zu-
nächst ein Gebiet der Konkurrenz zwischen Staatslehre und Na-