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stand der katholischen Urkantone im Sonderbundskrieg von 1847 gebrochen
worden war. In der Verfassung von 1848 sieht G. die größte Leistung
staatsrechtlicher Art, welche die Schweiz im 19. Jahrhundert hervorbrachte.
Dieses Kapitel ist denn auch mit besonderem Schwung und verhältnismäßig
ausführlich geschrieben, während für die Zeit von 1848 ab, in die u.a. ja
auch die wichtige Gesamtrevision der Bundesverfassung von 1874 fällt, höchst
bedauerlicherweise nur sehr wenig Raum zur Verfügung stand und daher
eine sehr gedrängte Darstellung geboten war.
Bei der Darstellung der leitenden Ideen der Verfassungsentwicklung
in der Schweiz im 19. Jahrhundert zeigt der Verfasser leider nicht dasselbe
Maß von Selbständigkeit des Urteils wie sonst; er stützt sich hier vielmehr
stark auf Fleiners hochinteressante Schrift „Entstehung und Wandlung mo-
derner Staatstheorien in der Schweiz“, 1916 an (den 1920 erschienenen 1. Band
von EpuArp Hıs, Geschichte des neuen schweizerischen Staatsrechts konnte
ernoch nicht benützen ; ebensowenig HEUSLERSs Schweiz. Verfassungsgeschichte,
die gleichfalls 1920 erschien. Im einzelnen schildert G. hier, wie unter dem
Einfluß des Lausanners Benjamin Constant der Vertretungsgedanke in der
Sehweiz zum Durchbruch kommt, neben dem aber die ursprünglichen demo-
kratischen Institutionen, die Landgemeinden, großenteils bestehen blieben
und, eben hierin Fleiner folgend, wie die gegenseitige Durchdringung alter
deutsch-schweizerischer mit neuen welschen Ideen in der Folge wieder zu
einer Zurückdrängung der repräsentativen durch die Elemente der unmittel-
baren Demokratie führt. Mehr Daten wären freilich auch hier höchst will-
kommen gewesen, wie denn überhaupt die ganze Darstellung, zumal für
einen Nichtschweizer, reichlich viel an Kenntnissen voraussetzt. (Die An-
fügung einer Zeittafel hätte hier sehr viel nützen können und sei für eine
Neuauflage dringend empfohlen). Aus der Geschichte der Entstehung der
Kantonsverfassungen in den 1830er Jahren sei hervorgehoben die Feststel-
lung, daß die Forderung der Gewaltentrennung mehrfach ausdrücklich ab-
gelehnt und vielmehr die Konzentration der Staatsbefugnisse in den kan-
tonalen Volksvertretungen betont, diesen daher ausdrücklich auch direkte
Teilnahme an der Staatsverwaltung und auch z. B. die Entscheidung bei
Konflikten zwischen richterlicher und vollziehender Gewalt zugewiesen wurde.
Sehr interessant für deutsche Leser ist auch die Darstellung der Entwick-
lung im Kanton Neuenburg, wo nach 1815 die wenigen Reformen, die über-
haupt durchgingen, wie Abschaffung der Folter und Ablösung der Halsge-
richtsordnung Karls V.(!) bei der Starrheit der in den Händen von wenigen
Patrizierfamilien befindlichen örtlichen Regierungen von Berlin aus befohlen
werden mußten — was wiederum angesichts unserer landläufigen Vorstel-
lungen über Fortschritt und Rückschrittlichkeit der absoluten Monarchie
im Vergleich zu der Schweiz viele deutsche Leser überraschen wird.
Wie weit der Verfasser Neues bringt, wie seine Quellenverwertung zu
kennzeichnen, wie weit es ihm gelungen ist, in der Darstellung der Partei-
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