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kämpfe des 19. Jahrhunderts Licht und Schatten gerecht zu verteilen, —
all dies zu beurteilen, muß ich der historischen Fachkritik überlassen,
Wenn ich dagegen kurz zum Ausdruck bringen soll, welche Gesamt-
summe aus der schweizer. Geschichte der staatsrechtlich interessierte Leser
dieses Werks wohl vor allem zieht, so dürfte es die Beobachtung sein, daß
die eigenartige Entwicklung des schweizerischen Gemeinwesens im Bund
wie in den Kantonen doch wohl zu einem noch kleineren Teil, als man bei
uns gewöhnlich annimmt, tiefen staatlichen Einsichten der Bevölkerung zu
verdanken, daß letzten Endes vielmehr die natürlichen Faktoren das Ent-
scheidende waren: die Entlegenheit von den Zentren der europäischen Po-
litik, die Unzugänglichkeit weiter Teile des Landes, seine Eignung nicht für
Großgrundbesitz sondern für kleinbäuerliche und Weidewirtschaft. Diese Fak-
toren im Verein allerdings mit gewissen günstigen Wendungen in der Dynasten-
( geschichte haben, wie aus dem Inhalt des ersten Bandes s. Z. hervorgehoben,
die Schweiz im Mittelalter davor bewahrt, endgültig in die deutsche Territorial-
staatsbildung hineingerissen zu werden; sie vornehmlich machen es erklär-
lich, daß in der Neuzeit die Schweiz trotz nahezu völligen Fehlens eines
Staatsgefühls während langer Jahrzehnte, trotz schwerster politischer Sünden
ganzer Generationen, angesichts deren sie mehr als einmal das Schicksal
Polens verdient hatte, diesem Schicksal in Wirklichkeit entging, und daß
sie sich im 19. Jahrhundert, als mit der Hebung des Verkehrs das Land
mehr und mehr zusammenwuchs und gleichzeitig auch seine Bedeutung als
Vermittler zwischen den großen Nationen stieg, in jener Eigenart entwickeln
konnte, die heute in wachsendem Maße das Interesse der Staatsrechtslehre
auf sie und ihre Geschichte lenkt.
Halle a. S. Prof. Dr. Bühler.