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Es handelt sich um ein Problem, das für die gesamte Rechts-
pflege bei den Justiz- wie bei den Verwaltungsgerichten von hoher
Wichtigkeit ist, ja das darüber hinaus eine allgemeine verfassungs-
politische Bedeutung erlangen kann. Aus diesem Grunde haben
es einige Verfassungsurkunden ausdrücklich gelöst. So insbeson-
dere auch die der beiden uns benachbarten demokratischen Repu-
bliken: der Schweiz (art. 113) und Oesterreichs. Sie haben beide
dem Richter und damit dem Bürger verwehrt, einem formgerecht
kundgemachten Gesetze wegen angeblichen Widerspruchs mit der
Verfassungsurkunde die Gültigkeit zu bestreiten.
„Die Prüfung der Gültigkeit gehörig kundgemachter Gesetze“,
heißt es ın 8 89 der österr. Bundesverfassung vom 1. Oktober
1920, „steht den Gerichten nıcht zu.*
Umgekehrt war in dem deutschen Verfassungsentwurf des
Vereins „Recht und Wirtschaft“ die ausdrückliche Bejahung des
richterlichen Prüfungsrechts vorgesehen (art. 147).
Bei der Beratung der deutschen Reichsverfassung ist im
Verfassungsausschuß bei der 2. Lesung im Juni 1919 der Abg.
Dr. ABLASS mit einem höchst beachtenswerten Vorschlag hervor-
getreten!
Er wollte dem jetzigen art. 108 (damals 114), in dem es
heißt, es werde ein Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich
errichtet, einen zweiten Absatz beifügen, der aussprechen sollte,
daß die Verfassungsmäßigkeit der Reichsgesetze und sogar der
Verordnungen dem richterlichen Prüfungsrecht entzogen sei; daß
aber, wenn 100 Mitglieder des Reichstags es beantragen, der
Staatsgerichtshof dazu berufen sei, die Verfassungs-
mäßigkeit der Gesetze und Verordnungen zu prüfen und darüber
allgemeinverbindlich zu entscheiden.
Der Antrag ist unter den Tisch gefallen, aber er hat be-
kanntlich Anlaß gegeben zu einer: interessanten Debatte.
Der auf LABAND gestützten und (mit einem gewissen Mi&-
verständnis) gegen GNEIST gewendeten Ansicht des Antragstellers