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Er anerkenne, daß das Gericht berechtigt sei. die Verfassungs-
mäßigkeit von Reichsgesetzen nachzuprüfen.
Von der andern Seite lehnt ANSCHÜTZ in seinem Kommentar
zur neuen Reichsverfassung (n. 2 zu art. 70) dieses Prüfungs-
recht auf das entschiedenste ab und FR. SCHACK, dem wir so
sorgfältige Untersuchungen über das richterliche Prüfungsrecht
verdanken, ist der Meinung (Arch. d. ö. R. 41, S. 167), daß es
bei schweigender Verfassung zu verneinen sei. Ebenso ARNDT,
WITTMAYER und sehr energisch WALTER JELLINEK’.
II. Eine derartige Meinungsverschiedenheit zwischen Autori-
täten deutet methodologisch in aller Regel darauf hin, daß keine
der gegensätzlichen Meinungen logisch beweisbar ist und die
Lösung des Problems mit Methoden erstrebt werden muß, die aus
dem Bereiche logisch-juristischer Beweisbarkeit hinausführen.
Dies entspricht allerdings den bisherigen Anschauungen nicht.
In der Diskussion über das richterliche Prüfungsrecht ist viel-
mehr von jeher von beiden Seiten versucht worden, die eigene
Ansicht als logische Schlußfolgerung aus unwiderleglichen Prä-
missen hinzustellen. Derartiges findet sich besonders — unter
der Führung LABANDs — bei den Gegnern des richterlichen
Prüfungsrechts. Sie arbeiten meist mit zwei Argumentationen!
Die eine argumentiert mit der Wirkung der „Ausfertigung“,
von der man zuerst lehrt, sie schaffe in jeder Beziehung unwider-
leglichen Beweis der Legalität des Zustandekommens des Gesetzes,
um daraus dann mit sieghafter Eleganz zu beweisen: also könne
auch der Richter die Verfassungsmäßigkeit nicht mehr in Zweifel
ziehen. Das ist unzulässige Begriffsjurisprudenz. Es ist, wie
TRIEPEL kürzlich dagegen bemerkt hat, offene petitio principii.
Die andere Argumentation will einen Unterschied machen
zwischen Staaten mit besonderem pouvoir constituant und solchen,
in denen die Verfassungsgesetzgebung der gewöhnlichen Legis-
3 ARNDT, „Recht“ 1920 S. 106. — WITTMAYER, Die Weimarer RVerf.
1922, S. 472. W. JELLINEK, D. J. 2. 1921 Sp. 753.