Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 43 (43)

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schen Landesrecht und Reichsrecht, wofür erst jetzt art. 13, Abs. 2 
der Weimarer Verfassung das Heilmittel gefunden hat. — Wie übri- 
gens — beiläufig bemerkt — das neue österreichische Recht für die 
Verordnungsprüfung vorbildliche Wege einschlägt: Der Richter, 
der einer Verordnung die Anwendung versagen will, muß das 
Verfahren aussetzen und eine ihn bindende Entscheidung des 
Verfassungsgerichtshofes einholen. — 
Nichtprüfung also ist der bisher traditionelle und — wer 
möchte es leugnen? — vom Standpunkte der Justiz betrachtet durch- 
aus befriedigende Zustand gewesen. Inzwischen haben sich nun 
freilich die politischen Zustände aus dem Fundamente geändert; 
die Verfassungsurkunden sind weitaus inhaltsreicher geworden, ins- 
besondere ist die Reichsverfassung mit Grundrechts- und anderen 
Artikeln ausgestattet, hinter deren, im Wege des Kompromisses 
aufgetürmten Wällen, die verschiedenen Parteien ihre wichtigsten 
religiösen, wirtschaftlichen und geistigen Güter geborgen haben; 
weiter: die Erschwerung der Verfassungsänderung sind im Reich 
und in den Ländern einschneidender geworden und die Besorgnisse, 
es möchten sich einfache Parlamentsmehrheiten unter brutaler Ueber- 
stimmung der Minderheit über diese Schranken hinwegsetzen, können 
nicht mehr so leichtkin von der Hand gewiesen werden, wie früher. 
Also entsteht die Frage: Kann die deutsche Jurisprudenz festhalten 
an dem rechtspolitisch durchaus befriedigenden Grundsatz der Nicht- 
überprüfbarkeit der Gesetze, oder sieht sie sich genötigt, ihn preis- 
zugeben, um den bedrohten neuen Verfassungen zu Hilfe zu eilen ? 
So allein scheint mir die Frage richtig gestellt! Niehtüber- 
prüfung ist das uns historisch Gegebene, ist deutsche, ja europäische 
Tradition® und durchaus causa favorabilıs. 
  
° Art. 139 der Bundesverfassung v. 1. Okt. 1920 und 88 50 ff. des Ges. 
vi 13. Juli 1921 über die Organisation u. über d. Verfahren des Verfassungs- 
gerichtshofes. Vgl. H. KELSEN, Die Verfassungsgesetze der Republik 
Oesterreich, 5. Teil, Die Bundesverfassung, 1922, 8. 47, 258 ff., 426 f. 
® Unbeschadet einzelner Ausnabmen in kleineren europäischen Staaten.
	        
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