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richtsbarkeit noch auszuüben hätten. Das Auftreten Frankreichs
war damals so energisch, daß ein ernstlicher Bruch mit Italien
zu befürchten war und nur durch das Eingreifen BISMARCKs das
Schlimmste verhütet ward.
Am lebhaftesten ist die Bedeutung des Souveränitätsvorbe-
halts in Beziehung auf Bosnien und die Herzegowina be-
sprochen worden. Zwar lagen die soeben über Massaua berichteten
Ereignisse zeitlich später, aber sie beleuchteten die praktische
Bedeutung der Frage doch so hell, daß sie in Zusammenhang mit
den Vorgängen in Cypern die Literatur hätten abhalten sollen,
die Okkupation Bosniens und der Herzegowina als verschleierte
Annexion zu bezeichnen. Wäre das so, so bliebe es nicht nur
unverständlich, weshalb Oesterreich-Ungarn im Jahre 1908 die
förmliche Annexion aussprach — es hätte sich ja dann nur um
die Wiederholung schon Geschelenen gehandelt — sondern auch
weiter, wieso Europa dadurch an den Rand eines Krieges gedrängt
werden konnte. Daß sich besonders Frankreich durch die Annexion
verletzt fühlte, ist bekannt und braucht nicht näher dargelegt zu
werden, wohl aber sei auf die Erörterungen des Oxforder Professors
HOLLAND hingewiesen, der damals in entschiedener Kürze (gegen
den Oesterreicher LAMMASCH) darlegte, daß die Annexion mit den
Bestimmungen des Berliner Vertrags und namentlich mit der
Anerkennung der türkischen Souveränität in dem Konstantinopler
Vertrag unvereinbar sei °®.
Die führende deutsch-österreichische Literatur hat sich denn
auch von vornherein, d. h. bald nach Abschluß dieses Vertrags,
auf den Standpunkt gestellt, daß die Souveränität der Türkei
in Bosnien und der Herzegowina fortdauere und mit praktischen
Folgen ausgestattet sei. So sagte 1882 GEORG JELLINEK in
seiner Lehre von den Staatenverbindungen (S. 53/4): „In Gemäß-
heit des Artikels 25 des Berliner Vertrages hat Oesterreich-
Ungarn Bosnien und die Herzegowina okkupiert und die gesamte
33 Times vom 13. November 1908 p. 12.