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Administration der genannten Provinzen des osmanischen Reiches
übernommen; es wird also die Staatsgewalt über diese beiden
Provinzen nach allen Richtungen hin nicht von der Pforte aus-
geübt. Dennoch besitzt Oesterreich - Ungarn noch nicht die
Souveränität über Bosnien und die Herzegowina, sie bilden keinen
Teil des Staatsgebietes der sie administrierenden Monarchie, ihre
Bürger sind weder österreichische noch ungarische Staatsbürger.
Die Pforte hat vielmehr in Ausführung ihrer vertragsmäßigen
Verpflichtung Oesterreich-Ungarn bloß zur Ausübung der Staats-
gewalt in den genannten Provinzen delegiert und sich demgemäß
die Souveränität über dieselben zurückbehalten, und Oesterreich-
Ungarn hat diese Souveränität ausdrücklich anerkannt. Es ist
also nicht nur eine theoretische Konsequenz des Begriffs der
Souveränität, daß sie als nudum jus existieren kann, sondern
eine an praktischen Verhältnissen bewährte Erscheinung.“ Ferner
sei auf die hervorragende Berliner Dissertation von SCHNELLER
hingewiesen, und von französischen Schriftstellern, die die gleiche
Auffassung vertraten, mögen BENOIT BRUNSWICK 3°, DESPAGNET 39
und A. LEROY-BEAULIEU ®? genannt sein.
Was nun den praktischen Inhalt der türkischen Souveränität
betrifft, so ist es zunächst bezeichnend, daß die Großmächte erst
vom Jahre 1880 ab auf ihre Konsulargerichtsbarkeit in den beiden
Provinzen verzichtet, also keineswegs angenommen haben, daß
sie von Rechts wegen durch die Okkupation erloschen sei. Das
zeigt sich namentlich in dem Verhalten des Deutschen Reiches.
Es erließ am 7. Juni 1880 ein „Gesetz betr. die Konsulargerichts-
% Die staatsrechtliche Stellung von Bosnien und der Herzegowina (1892).
3 Je Traite de Berlin annote et commente (1878).
3° Essai sur les Protectorats (1896).
? La situation internationale de la Bosnie et 1l’Herzegovine (in La
Bosnie et l’Herzegovine, herausgeg. von OLIVIER, 1900), Die unter 35—37
genannten Werke zitiere ich nach der auf dem gleichen Standpunkt stehen-
den Pariser Dissertation von Koyıtca, L’annexion de la Bosnie et de
l’Herzegovine (1910).