— 332 —
getauchten Befürchtungen mit allem Nachdruck zu betonen, daß die
Auffassung durchaus irrig ist, in dem Gesetz werde die systematische
Beseitigung der bayerischen Hoheitsrechte eingeleitet. Die aus der
schwersten Not der Gegenwart geborenen und nur für einen gemessenen
Zeitraum geltenden Bestimmungen sind Lebensnotwendigkeiten unseres
bedrohten staätlichen Daseins; sie sollen und können aber in ihrem
Vollzug in keiner Weise den staatlichen Charakter
der einzelnen Länder beeinträchtigen, der, in der Reichs-
verfassung fest begründet, gerade die Stärke des Reiches darstellt
und dessen Wahrung während der Dauer meiner Amtsführung ich mir
zur besonderen Aufgabe gemacht habe.
Zur beschleunigten Klärung der innen- und außenpolitisch gleicher-
maßen gefährdeten Lage und angesichts der mir aus der Reichsver-
fassung obliegenden Verpflichtnng darf ich mir die Bitte erlauben, mir
in tunlichster Bälde Ihre Antwort zugehen zu lassen.
Mit dem Ausdruck meiner aufrichtigen Hochschätzung
Ihr ergebener
gez. Ebert.“
Das vom 2. August datierte Antwortschreiben des bayerischen
Ministerpräsidenten lautete:
„Hochverehrter Herr Reichspräsident!
Euer Hochwohlgeboren gefälliges Schreiben vom 27. Juli 1922
regt eine Verständigung über die schnelle Beilegung des Streitfalles
zwischen dem Reiche und Bayern aus Anlaß der gesetzgeberischen
Maßnahmen zum Schutze der republikanischen Staatsverfassung an.
Zum Wohle unseres deutschen Volkes und Landes wünschen Sie die
Aufhebung der bayerischen Verordnung vom 24. Juli 1922 auf Grund
des Art. 48 Abs. 4 Satz 2 der Reichsverfassung vermieden zu sehen.
Für diese aus staatsmännischen Erwägungen entspringende Auf-
fassung weiß Ihnen die Bayerische Regierung aufrichtiren Dank; denn
auch sie erblickt inder Ausschaltung des Zwanges die einzige
Möglichkeit, den Streitfall ohne Schaden für das deutsche Vaterland
zu schlichten.
Wenn das Schreiben vom 27. Juli 1922 den Standpunkt vertritt,
daß die bayerische Verordnung der verfassungsmäßigen Grundlage
entbehre, so vermag ich dem nicht beizupflichten. Ich
muß mir an dieser Stelle verfassungsrechtliche Ausführungen versagen,
um so mehr, als eine bloß formalrechtliche Entscheidung keine Lösung
einer Frage bringen könnte, deren wesentliche Bedeutung auf politischem
Gebiete liegt.