Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 43 (43)

fassung ist nieht unbestritten. BRYCE z. B., der bekannte eng- 
lische staatsrechtliche Schriftsteller, ist anderer Ansicht; er meint: 
„wenn das englische Oberhaus eine Menge vom Unterhaus vor- 
gebrachter Aenderungsanträge ablehnt, um so eine Auflösung des 
Unterhauses zu erreichen und damit an die Wähler zu appellieren, 
so sei die Neuwahl ein Ausdruck der öffentlichen Meinung, eine 
Stellungnahme des Volkes auch zu den bestimmten Aenderungs- 
anträgen, über die ja in den dem Wahltage voraufgehenden Wochen 
genügend diskutiert und gesprochen sei. Mithin läge hier eine 
Abstimmung auch über den konkreten Fall vor, freilich nur über 
die hauptsächlichen Prinzipien, nieht über ein bestimmtes aus der 
gesetzlichen Körperschaft hervorgegangenes Gesetz“ !%. Wir lehnen 
diese Argumentation, die — nach BRYCE — „weit hergeholt er- 
scheinen mag“, ab, weıl das Volk, wie BRYCE selbst zugibt, bei 
Wahlen über bestimmte Angelegenheiten seinen Willen nicht 
kundgibt. Denn eine Angelegenheit, über deren haupsächlichste 
Prinzipien nur das Volk sich äußert, ist nicht bestimmt im Sinne 
obiger aus dem Gesetz gefolgerten Begriffsbestimmungen, es ent- 
fiele eine Meinungsbekanntgabe wenigstens über die wesentlichsten 
die Bestimmtheit begründenden Einzelheiten der betreffenden An- 
gelegenheit. — Wir scheiden also eine Betrachtung der Fälle, da 
die stimmberechtigten Staatsangehörigen zur Wahlurne, nicht zur 
„Referendumsurne* schreiten, aus. — Dagegen sind u. E. die Fälle, 
da das Volk die Auflösung des Parlaments fordert, hierher zu 
rechnen. Denn wenn diese auch häufig aus der Hoffnung heraus 
verlangt wird, die Neuwahl werde eine wesentliche Aenderung 
in den „Allgemeinen politischen Richtlinien“ bringen, so ist doch 
der Anlaß eine Meinungsverschiedenheit zwischen Volk und Volks- 
vertretung über eine bestimmte Angelegenheit, d. h. über eine 
oder mehrere wichtige dem Ganzen den Charakter gebenden Ein- 
zelheiten, aus denen die Bestimmtheit sich ergibt, die Abstimmung 
über die Auflösung entscheidet mithin über diese und ist deshalb 
1 Bryczk, The American Commonwealth, New York 1911, Bd. 1, S. 467.
	        
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