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die aber ein grelles Schlaglicht werfen auf seine im Gegensatz zur
Politik der Reichstagsmehrheit stehende politische Haltung, nicht
nur gegenwärtige vorübergehende Meinungsverschiedenheiten von
geringerer Bedeutung, sondern weit in die Zukunft hinein wirk-
same hochwichtige, die Durchführung der Politik der Reichstags-
mehrheit ernstlich bedrohende Handlungen des Reichspräsidenten,
letzten Endes allmählich entstandene oder bisher auf seiten des
Reichspräsidenten vorsichtig verschleierte Weltanschauungsgegen-
sätze der Volksvertretung die Waffe aus Art. 43, Abs. 2 in die
Hand drücken, wenn anders diese nicht leichtfertig oder lediglich
aus Parteiinteresse ohne Rücksicht auf die Erschütterungen und
Erregungen, die ihre Anwendung im Volke auslöst, zu dieser
greift. Die Scheu vor diesen mit Sicherheit in jedem Falle zu
erwartenden stürmischen Bewegungen im Volke und die Beobach-
tung des allgemeinen Wohles wird eine verantwortungsbewußte
Reichstagsmehrheitvielmehrbiszum Aeußersten zögernlassenmüssen,
von dieser Waffe gegenüber dem Reichspräsidenten Gebrauch zu
machen.
Ein Recht der Volksvertretung, das Staatsoberhaupt wegen
seiner politischen Haltung zur Verantwortung ziehen zu können,
ist nur in der deutschen Reichsverfassung normiert. Die anderen
großen Demokratien der Welt, die Vereinigten Staaten von
Amerika, Frankreich und auch das australische Commonwealth
kennen dieses Recht nicht. Wenn die Schweizer Bundesverfas-
sung (Art. 98, Abs. 1) eine Ausnahme zu machen scheint, so be-
ruht das auf der staatsrechtlich veränderten Stellung des Bundes-
präsidenten, der nicht eine selbständige repräsentative Spitze dar-
stellt, sondern primus inter pares im Bundesrate, das ist der
obersten Exekutivbehörde, ist. Er kann mithin nicht ’dem deutschen
Reichspräsidenten, er muß vielmehr den Ministerpräsidenten, Staats-
ratsvorsitzenden usw. in den deutschen Ländern verglichen werden.
Sie alle sind ihren Parlamenten schon auf Grund des parlamen-
tarischen Systems, das diese Verfassungen beherrscht, wie es auch.
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