Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 43 (43)

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nungsstreit innerhalb der Volksvertretung die Anregung von der 
Parlamentsminderheit in Verbindung mit einem Bruchteil der Stimm- 
berechtigten aus. Jedoch ist diese Art der Volksabstimmung auf 
das Reich und auf Hamburg beschränkt, die übrigen deutschen 
Freistaaten haben sie sämtlich nicht normiert. 
Im Reich kann die Voraussetzung einer Volksabstimmung 
über einfache und verfassungsändernde Gesetze von einer Reichs- 
tagsminderheit und zwar von !/s aller Reichstagsmitglieder ge- 
schaffen werden. Um nämlich den Weg zu einer Volksabstimmung 
freizumachen, muß zunächst von dieser Reichstagsminderheit ein 
Antrag auf Aussetzung der Gesetzesverkündigung um zwei Monate 
gestellt werden, um damit dem Reichspräsidenten die Möglichkeit 
zu nehmen, das betreffende Gesetz binnen einem Monat zu ver- 
künden. Diesem Antrage muß der Reichspräsident grundsätzlich, 
auch wenn er und die hier verfassungsmäßig zur Gegenzeichnung 
verpflichtete Regierung damit nicht einverstanden sind, entsprechen 
(Art. 72, 8.1). Der Exekutive gegenüber hat also hier sogar die 
Parlamentsminderheit eine starke Stellung inne. Dagegen ist der 
Parlamentsmehrheit im Bunde mit dem Reichsrate nach Art. 72, 
Satz 2 die Möglichkeit gegeben, diesen Hieb der Minderheit da- 
durch zu parieren, daß sie das betreffende Gesetz für dringend 
erklärt. Eine Norm für die Dringlichkeit ist nicht vorgeschrieben, 
jedes einfache oder verfassungsändernde Gesetz kann mithin für 
dringlich erklärt werden. Infolge dieser Dringlichkeitserklärung 
rückt der Reichspräsident in dem Widerstreit der Meinungen 
zwischen Reichstagsmehrheit und Reichstagsminderheit in eine ein- 
flußreiche Schiedsrichterstellung ein. Geht er nämlich — und die ° 
gegenzeichnende Regierung — mit den genannten Reichsorganen 
zusammen, so kann er das betreffende Gesetz trotz des Aussetzungs- 
antrages der Reichstagsminderheit verkünden. Damit ist der Exe- 
kutive in diesem Konfliktsfalle die Entscheidung nach der posi- 
tiven Seite gegeben. Stellt sich der Reichspräsident dagegen auf 
die Seite der Reichstagsminderheit, kann er trotz der Dringlich-
	        
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