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einfache Gesetze könnte der Reichspräsident als nicht zustande
gekommen erklären. Auch diese Auffassung trifft u. E. nicht zu,
da sie im Widerspruch zu Art. 74, Abs. 3, Satz 3 steht. Sie
sind gültig zustande gekommen, aber sie werden von der Verfas-
sung als nicht zustandegekommen fingiert, deshalb bedarf es auch
einer nur mit Gegenzeichnung der Reichsregierung möglichen Er-
klärung des Reichspräsidenten nicht, ein so wichtiges Recht gegen-
über dem Träger der Souveränität, der Volksvertretung, würden ihm
die Gesetzgeber wohl auch kaum gegeben haben.
Beschließt der Reichstag — das ist die zweite große Alter-
native — erneut und mit ?2/sMehrheit, so ist der Reichspräsident zum
entscheidenden Schiedsriehteramte nach der positiven Seite be-
rufen, dadurch, daß er ein so beschlossenes Gesetz verkündigen
kann. Er ist aber in diesem Falle zur ausdrücklichen Stellung-
nahme gezwungen°®, er kann also das Gesetz verkünden und da-
mit zugleich, wie oben das Volk, allerdings nur im Bunde mit dem
Reichstage und der Reichsregierung, den Einspruch des Reichs-
rates „materiell illusorisch machen “°°, andernfalls muß er die Volks-
abstimmung veranlassen (Art. 74, Abs. 3). Auf Grund der Bera-
tungen des Verfassungsausschusses wurde bei verfassungsändernden
Gesetzen die Stellung des Reichsrats zuungunsten der Exekutive
verschoben. Dieser kann nämlich, falls der Reichspräsident mit
Gegenzeichnung der Reichsregierung eine mit der für diese vor-
geschriebenen Mehrheit (Art. 76, Abs. 1) von der Volksvertretung
erneut beschlossene Verfassungsänderung verkünden will, auf Volks-
abstimmung dringen (Art. 76, Abs. 2). In den einschlägigen Be-
ratungen des Verfassungsausschusses erklärte PREUSS auf Befragen,
daß der Reichspräsident auch Verfassungsänderungen, die im
Wiederholungsstadium nur mit einfacher Mehrheit . beschlossen
68 KATZENSTEIN in der 38. Sitzung des Verfassungsausschusses vom
5. Juni 19 nachm. Prot. S. 449.
5° Ebenso BEYERLE, 16. Sitzung des Verfassungsausschusses vom
27. März 19. Prot. S. 167, r . SPAHN in der Nationalvers. vom 28. Februar 19,
zit. bei HEILFRON 9, 946.